Depeche Mode
wenn er sein Kind sehen wollte, das ist bei ihnen im Kaukasus so üblich, sie schmiß dann all ihre zufälligen Bekannten raus, zwang sie, die leeren Flaschen und die noch nicht angeschnittene Salami mitzunehmen, warf die Kippen aus dem Fenster, die Bulbulatoren in den Müll und die Krümel ins Klo, kurz: klappte die Kulissen zusammen und kehrte ins normale Leben zurück, in dem es den Papa General gab, die Streitkräfte der Republik, geregelte Ernährung, Turnhallen und Tennisplätze, normale Freunde, höhere Bildung, schöne Musik, ich meine – schöne live-Musik, nicht auf Platte, obwohl, auch schöne Platten – also, die ganze Minimalausstattung an Prothesen und künstlichen Zähnen für ein mehr oder weniger angenehmes Leben, die dir das System zur Verfügung stellt unter der Bedingung, daß du ihm Nieren, Lungen, Geschlechtsorgane und Seele testamentarisch vermachst. Sie hatte alle diese Prothesen, deshalb konnte sie es sich leisten, sich aufzuspielen und ab und zu ziemlich tief in die Abwasserkanäle der Gesellschaft einzutauchen, für ein paar Tage auf die dunkle Seite des Mondes zu fliegen, die ja übrigens gar nicht weit entfernt ist – dort einige Zeit mit Shit und Portwein zu verbringen, sich wenn auch nur vorübergehend dem GROSSEN NERVENSYSTEM anzuschließen, dem LÖCHRIGEN UND ÜBERALL GEFLICKTEN KREISLAUF VON BLUT UND LIEBE , sich kopfüber in die Ströme von Lymphe, Kot und Sperma zu stürzen, auf deren Grund sich ja angeblich die massivsten und wunderbarsten Stücke Glücks befinden sollen, obwohl es dort in Wirklichkeit gar nichts gibt, das könnt ihr mir glauben.
6.00
Wir hätten sie also unbedingt angerufen, hätten wir gewußt wie, das nächste Telefon war im Wachhäuschen am Werkstor, wo uns der Werkschutz mit Krummsäbeln und Flammenwerfern erwartete, mit Handgranaten und vorsorglich in den Beeten vergrabenen Antipersonenminen, kurz: ich würde da nicht hingehen, besonders nicht mit dem schnurrbärtigen Molotow, besser ein andermal, wenn sich der Staub gelegt hat, besser nehmen wir jetzt alles mit, was wir brauchen – sagen wir zueinander, greifen uns den Alk und die Reste Shit, Wasja nimmt sogar noch eine Broschüre vom Fensterbrett – und kriechen durch den Zaun. Ich sage noch, sollen wir vielleicht, – sage ich, – einen Zettel für Zündkerze dalassen, damit er weiß, wo er uns finden kann, aber Wasja meint skeptisch, daß es kein Zettel für Zündkerze, sondern einer für den Staatsanwalt wäre, stimmt ja – noch mehr Ärger können wir echt nicht brauchen, jetzt müssen wir irgendwie ordentlich rauskommen aus dieser Sache, unbedingt. Tschapaj wälzt sich immer noch in seinem Bett, immer um die eigene Achse, als ob ihn jemand im Schlaf drehen würde wie eine Kurbel, um etwas für diese Welt sehr Wichtiges in Gang zu bringen, aber egal wie du an der Kurbel drehst, es will einfach nicht anspringen, es klappt nicht, nur der gequälte kranke Körper schmerzt wie ein von teuflischen Artilleristen in den Arsch des Marxismus-Leninismus gesetzter und dort zur Erinnerung an eine weitere verlorene Seele zurückgelassener Bombensplitter.
6.15
Wir durchqueren den frühmorgendlichen privaten Sektor, kommen beim Platz vor dem Zirkus raus, ich schleppe den schnurrbärtigen Molotow, Dog schleppt den Alk, Fusel haben wir keinen abgefüllt, aber unsere Onkel Robert ehrlich abgeluchsten drei Flaschen Kognak haben wir wieder mitgenommen, Wasja schleppt nichts, ihm geht’s am schlechtesten, jedenfalls behauptet er das, und wir haben keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Wir müssen jetzt nur noch über die Brücke, zur Kirche abbiegen, und nach ein paar Blocks kommen wir auf den Platz, dort müssen wir noch mal über die Straße und dann im Eingang des Hauses mit dem Turm verschwinden, und wenn wir Glück haben und uns niemand aufhält, dann geht das Leben noch ein paar Stunden weiter, vielleicht bis zum Mittagessen.
6.45
Marusja hat schon wieder eine andere Haarfarbe. Im Original sind ihre Haare, glaube ich, schwarz, vielleicht schwarz, das wäre doch natürlich, sie ist doch vom Kaukasus, jetzt hat sie sie irgendwie dunkelrot gefärbt und sehr kurz, sie trägt einen schwarzen Kimono, unter dem außer Marusja selbst nichts mehr ist, sie läßt das alles an uns aus, uns geht’s sowieso schon schlecht, und jetzt auch noch das, wer seid ihr? fragt sie zuerst, erkennt dann wenigstens Wasja, mich kennt sie nie, ich bin nicht mal mehr beleidigt, und Dog erhebt sowieso keinerlei
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