Der 8. Februar (German Edition)
1. Das Dorf
Die Gerberei ist geschlossen und sämtliche Geschäftstätigkeiten sind eingestellt. Es ist still geworden in den Hallen, in denen die Arbeiter ihren Aufgaben nachgingen. Der große Dampfkessel wurde abgebaut, er hatte seinen Zweck immer tadellos erfüllt. Damit ging ein langes Kapitel unserer Familie zu Ende und ich will einmal die Geschichte von Anfang an erzählen, wie ich sie erlebte.
Glockschütz war damals ein sehr kleines Dorf ganz in der Nähe Breslaus (heute Wroclaw, Polen) in Schlesien und die etwa zweihundert Bewohner waren einfache Leute, wie es sie wohl in jedem Dorf gab. Die Mehrzahl der Menschen lebte von der Landwirtschaft. Es gab weite Felder und zahlreiche Weiden um das Dorf herum. Glockschütz hatte keine Sehenswürdigkeiten und es verirrte sich nur selten ein Fremder dorthin. Geschäfte gab es keine und wenn man etwas brauchte, musste man nach Hundsfeld (heute Psie Pole) oder ins moderne Breslau fahren. Einige Bewohner brachten ihre Bleche mit rohen Teigwaren zu einem Bäcker nach Hundsfeld, weil sie keinen eigenen Backofen zu Hause hatten. Noch vor meiner Zeit wurden die Häuser nicht immer abgeschlossen, wenn niemand zu Hause war, sondern es wurde einfach ein Besen vor die Tür gestellt, damit man schon von weitem sehen konnte, dass eben niemand da war. Kriminalität gab es keine, Diebstähle waren unbekannt. Wir hatten Elektrizität, was nicht alle Dörfer in der Gegend von sich behaupten konnten. Ein Telefon fand man nicht in vielen Häusern, wir aber hatten eins im Büro, was uns zu den wenigen Glücklichen machte.
Das Geburtshaus meines Vaters Artur in Glockschütz
In diesem Ort im Kreis Trebnitz wurde ich als Ingeborg Gertrud Marta Maiwald am Donnerstag, den 1.3.1934 geboren und war die zweite Tochter der Eheleute Artur und Klara. Die erste Tochter war Ruth, die dritte Ursula.
Wie es damals üblich war, kam auch ich im elterlichen Haus zur Welt. Die Erinnerungen an mein Geburtshaus sind noch sehr deutlich und ich kann mich besonders an die kleine Küche entsinnen, in der eine Wasserpumpe an der Wand installiert war. Sie hatte einen dreißig Zentimeter langen hölzernen Hebel, den man hin- und herbewegen musste, und das Wasser floss dann durch ein Rohr von etwa zehn Zentimetern Durchmesser ins Becken. Eine Pumpe im Haus zu haben, war keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, sondern eine angenehme Ausnahme. Man brauchte bei schlechtem Wetter nicht in den Hof zu gehen, um Wasser zu holen. In jedem Zimmer hatten wir Tapeten, und die Holzdielen der Böden schienen immer zu glänzen. Vom Parterre führte eine gerade Holztreppe nach oben, unter ihr befand sich ein kleiner Abstellraum. Ein Badezimmer hatten wir nicht und so badeten wir Kinder in einer Zinkwanne in der Küche, die Eltern duschten in der Gerberei. Das Haus war nicht sehr groß, aber es reichte aus für eine kleine Familie, und für meine Eltern war es ein bescheidener, solider Anfang. Wir hatten keinen Gemüsegarten am Haus, sondern einen Obstgarten. Einen Kühlschrank gab es noch nicht bei uns und so wurden die frischen Lebensmittel im Keller für eine kurze Zeit aufbewahrt.
Unser Vater Artur war etwas untersetzt, kräftig und hatte dunkelbraunes, glattes Haar. Ich glaube sagen zu können, er war ein gutaussehender Mann mit gleichmäßigen Zügen und einer wohlklingenden Stimme. Er traf immer die Entscheidungen und ging mit gutem Beispiel voran. Deshalb war er bei seinen Arbeitern zweifellos hoch angesehen. Ruhig, besonnen und fair in seinem ganzen Wesen beschreibt ihn wohl am Besten. Für mich war er der Größte, denn er konnte einfach alles reparieren.
Unsere Mutter Klara war eine schlanke, hübsche Frau mit dunkelbraunem, fast schwarzem Haar. Sie war sehr gut im Organisieren, arbeitete immer hart und gönnte sich selbst nicht viel. Sonntags zog sie sich ihr bestes Kleid und frisch geputzte Schuhe an, bevor es in die Kirche ging. Sie legte immer viel Wert auf Ehrlichkeit; Lügner und Tagediebe konnte sie nicht leiden. Abends musste alles sauber und an seinem Platz sein, sonst gab es Ärger, da hörte der Spaß auf. Ich will damit nicht sagen, dass sie streng war, sie wollte uns nur eine gewisse Ordnung beibringen. Sie war wirklich sehr großzügig und teilte alles, besonders mit uns Kindern, und wir liebten sie dafür. Beide Eltern waren Nichtraucher, was zur damaligen Zeit vielleicht eine Ausnahme war.
Papas Eltern waren Paul und Pauline Maiwald, die eine
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