Der 8. Februar (German Edition)
Wir Kinder bekamen zu jeder Saison neue Kleider aus dem Kaufhaus Brenninkmeyer in Breslau und es war eine Selbstverständlichkeit, dass auch Irmgard von unseren Eltern eingekleidet wurde. Unter uns herrschte eine herzliche Freundschaft. Wir wussten, sie hatte nur noch eine Mutter, kam aus der Stadt und war Teil eines Regierungsprogrammes, das Kinder und Jugendliche in den Ferien auf das Land verteilte, wo das Essen besser war. Das nannte man Kinderlandverschickung .
Es gab ein Toilettenhäuschen hinter dem Haus und Papa führte mich bei Dunkelheit dorthin, wenn es eben sein musste. Eine Toilette im Haus zu haben war damals sehr selten in den Dörfern.
Meine Eltern besaßen also eine Gerberei und hatten tüchtige Arbeiter eingestellt. Tagsüber war Mama dort beschäftigt und ein Dienstmädchen namens Liesbeth war für die Hausarbeiten und uns Kinder zuständig. Großmutter Pauline kam tagsüber, um mich zu hüten. Sie lebte ein paar Häuser weiter und ging abends wieder nach Hause, nachdem sie mich zu Bett gebracht hatte. An den Nachmittagen gingen wir beide spazieren. Manchmal nahmen wir eine Decke mit und breiteten sie auf einer Wiese aus. Dann erzählte sie mir Geschichten und ich hörte gespannt zu. Sie wusste auch meine Fragen zu allen möglichen Dingen zu beantworten, und so hatten wir eine schöne Zeit zusammen. Sie redete erzieherisch, aber auch wohlwollend auf mich ein. Ganz besonders habe ich die Geschichte von dem brennenden Kind behalten, das sie aus den Flammen eines Bauernhauses gerettet hatte und nicht wollte, dass es mir genauso ergehen sollte. Das Kind hatte wohl mit Streichhölzern gespielt und war ohne Aufsicht in der Küche allein gelassen worden. Mir ging die Geschichte so nahe, dass ich mich lange Zeit von Streichhölzern fernhielt.
Sonntags fuhren uns die Eltern nach dem Mittagessen nach Breslau in die Scala , ein Kino, und wir sahen Märchenfilme, Filme mit Shirley Temple, Judy Garland, und Stan und Ollie. Die Namen kannte ich erst später, ich weiß aber noch genau, wie es im Kino aussah: die Sessel und Wände waren mit rotem Samt bezogen, der Vorhang war aus dem gleichen Material und auf dem Boden lag ein dicker Teppich, rot gemustert. Für uns war es immer ein Erlebnis und wir schauten uns um, bis das Licht verlosch und die Vorführung begann. Wir wollten ja sehen, wer sonst noch da war, damit wir vielleicht am nächsten Tag mit jemandem über den Film reden konnten, haben aber nie Bekannte getroffen. Sie hatten keine Autos und wahrscheinlich auch nicht das Geld für Ausflüge. Mir fiel damals nicht auf, dass mich jemand beneiden könnte, aber heute bin ich sicher, dass es wohl Neider gab. Meine Realität deckte sich nicht unbedingt mit denen der anderen Kinder, die sich mit weniger zufrieden geben mussten. Mir fiel als Kind nicht auf, in einer privilegierten Familie aufzuwachsen. Ich genoss diese Zeit und freute mich immer, wenn Papa die Tür seines Wagens öffnete und uns einsteigen ließ. Wir wussten oft nicht, wohin es ging, was unsere Spannung natürlich noch steigerte, und wir versuchten dann immer zu erraten, was das Ziel sein würde. Die Fahrten waren für uns kurzweilig und wir hatten eine Menge Spaß, bis uns Papa manchmal zu mehr Ruhe ermahnte, damit er sich auf das Fahren konzentrieren konnte. Wir brachten Luftballons vom Breslauer Rummelplatz mit ins Auto und hielten sie auf dem Rücksitz sitzend in unseren Händen. Vielleicht alberten wir mit ihnen herum und lenkten ab, jedenfalls kurbelte Papa auf einmal die Scheibe herunter und mein Ballon fand den Weg nach draußen. Ich war traurig, denn der schöne Ausflug kam zu einem abrupten Ende für mich. Ein kleiner Trost ergab sich am nächsten Morgen, als ich Ruths Ballon klein und leblos in der Ecke liegen sah.
Ein anderer Ausflug musste abgebrochen werden, weil Papa eine schmerzhafte Nierenkolik bekam, uns zu Hause ablieferte und dann ins Krankenhaus fuhr, wo er operiert wurde. Er brachte die entfernten Nierensteine mit und zeigte sie uns. Außer dem Auto hatten wir noch eine schöne Pferdekutsche mit großen Speichenrädern, die wir an sonnigen Tagen benutzten.
In der ersten Hälfte der 30er Jahre kaufte Papa das heruntergewirtschaftete Gut in Heidau Nr. 110 von der Familie Laudien. Damals war der Viehbestand dort eine kleine Herde Schafe, die das zumeist unbebaute Ackerland abgraste. Unsere Familie wohnte weiterhin in Glockschütz, während Gro Pauline mit Hans Krause zur Nr. 110 zog. Mamas Bruder
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