Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
welchen wir schon um Mitternacht hinzugehen anfingen, damit wir noch frühe genug, ohne männiglichs Vermerken, in obgemeldten Pfarrherrns Kirche, die etwas vom Dorf abgelegen war, kommen, und dem Gottesdienst abwarten können, in derselben verfügten wir uns auf die zerbrochne Orgel, an welchem Ort wir sowohl auf den Altar als zu der Kanzel sehen konnten. Als ich das erstemal den Pfarrherrn auf dieselbige steigen sah, fragete ich meinen Einsiedel, was er doch in demselben großen Zuber machen wollte? Nach verrichtetem Gottesdienst aber gingen wir ebenso verstohlen wieder heim, als wir hinkommen waren, und nachdem wir mit müdem Leib und Füßen zu unserer Wohnung kamen, aßen wir mit guten Zähnen übel, alsdann brachte der Einsiedel die übrige Zeit zu mit Beten, und mich in gottseligen Dingen zu unterrichten.
An den Werktagen taten wir, was am nötigsten zu tun war, je nachdem sichs fügte, und solches die Zeit des Jahrs und unser Gelegenheit erforderte; einmal arbeiteten wir im Garten, das andermal suchten wir den feisten Grund an schattigen Orten, und aus hohlen Bäumen zusammen, unsern Garten, anstatt des Dungs, damit zu bessern, bald flochten wir Körbe oder Fischreusen, oder machten Brennholz, fischten, oder taten ja so etwas wider den Müßiggang. Und unter allen diesen Geschäften ließ der Einsiedel nicht ab, mich in allem Guten getreulichst zu unterweisen; unterdessen lernete ich in solchem harten Leben Hunger, Durst, Hitz, Kälte und große Arbeit überstehen, und zuvörderst auch Gott erkennen, und wie man ihm rechtschaffen dienen sollte, welches das Vornehmste war. Zwar wollte mich mein getreuer Einsiedel ein mehrers nicht wissen lassen, denn er hielt dafür, es sei einem Christen genug, zu seinem Ziel und Zweck zu gelangen, wenn er nur fleißig bete und arbeite, dahero es kommen, ob ich zwar in geistlichen Sachen ziemlich berichtet wurde, mein Christentum wohl verstund, und die teutsche Sprach so schön redete, als wenn sie die Orthographia selbst ausspräche, daß ich dennoch der Einfältigste verblieb; gestalten ich, wie ich den Wald verlassen, ein solcher elender Tropf in der Welt war, daß man keinen Hund mit mir aus dem Ofen hätte locken können.
Das 12. Kapitel
Vermerkt ein schöne Art selig zu sterben, und sich mit geringen Unkosten begraben zu lassen
Zwei Jahr ungefähr hatte ich zugebracht, und das harte eremitisch Leben kaum gewohnet, als mein bester Freund auf Erden seine Haue nahm, mir aber die Schaufel gab, und mich seiner täglichen Gewohnheit nach an der Hand in unsern Garten führte, da wir unser Gebet zu verrichten pflegten: »Nun Simplici, liebes Kind«, sagte er, »dieweil gottlob die Zeit vorhanden, daß ich aus dieser Welt scheiden, die Schuld der Natur bezahlen, und dich in dieser Welt hinter mir verlassen soll, zumalen deines Lebens künftige Begegnisse beiläufig sehe, und wohl weiß, daß du in dieser Einöde nicht lang verharren wirst, so hab ich dich auf dem angetretenen Weg der Tugend stärken, und dir einige Lehren zum Unterricht geben wollen, vermittelst deren du, als nach einer ohnfehlbaren Richtschnur, zur ewigen Seligkeit zu gelangen dein Leben anstellen sollest, damit du mit allen heiligen Auserwählten das Angesicht Gottes in jenem Leben ewiglich anzuschauen gewürdiget werdest.«
Diese Wort setzten meine Augen ins Wasser, wie hiebevor des Feinds Erfindung die Stadt Villingen, einmal, sie waren mir so unerträglich, daß ich sie nicht ertragen konnte, doch sagte ich: »Herzliebster Vater, willst du mich denn allein in diesem wilden Wald verlassen? Soll denn...« mehrers vermochte ich nicht herauszubringen, denn meines Herzens Qual ward aus überflüssiger Lieb, die ich zu meinem getreuen Vater trug, also heftig, daß ich gleichsam wie tot zu seinen Füßen niedersank. Er hingegen richtet' mich wieder auf, tröstet' mich, so gut es Zeit und Gelegenheit zuließ, und verwies mir gleichsam fragend meinen Fehler, ob ich nämlich der Ordnung des Allerhöchsten widerstreben wollte? »Weißt du nicht«, sagt' er weiters, »daß solches weder Himmel noch Höll zu tun vermögen? nicht also mein Sohn! was unterstehest du dich, meinem schwachen Leib (welcher für sich selbst der Ruhe begierig ist) aufzubürden? vermeinest du mich zu nötigen, länger in diesem Jammertal zu leben? Ach nein, mein Sohn, laß mich fahren, sintemal du mich ohne das weder mit Heulen noch Weinen, und noch viel weniger mit meinem Willen, länger in diesem Elend zu verharren, wirst zwingen können,
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