Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Lager aufzuschlagen. Die Masse des Sikkihoq schützte sie vor den schlimmsten Auswirkungen des schneebeladenen Windes. Simon setzte den Rucksack ab und machte sich daran, Feuerholz zu sammeln. Dann aber unterbrach er sich, um zuzusehen, wie die Sonne hinter den westlichen Bergen versank, unter denen, das wusste er, auch der Urmsheim war, der Drachenberg. Der Horizont nahm Farbe an und war bald so üppig rot wie nur je eine Rose in den Gärten des Hochhorstes.
Dort auf dem Urmsheim lag An’nai begraben, Jirikis Verwandter, der den Tod gefunden hatte, als er für das Leben seiner Gefährten kämpfte; neben ihm war der Soldat Grimmric beerdigt, ein drahtiger, schweigsamer Mann. Simon erinnerte sich daran, wie Grimmric vor sich hin gepfiffen hatte, als sie aus Naglimund fortritten, ein dünner, trillernder Ton, manchmal lästig, manchmal tröstlich. Nunwürde Grimmric auf ewig schweigen. Nie mehr würden er und An’nai einen Sonnenuntergang wie diesen sehen, der vor Simons Augen den Himmel bunt malte, wunderschön und sinnlos.
Wo waren sie nun? Im Himmel? Wie konnten Sithi in den Himmel kommen, wenn sie nicht daran glaubten – und was glaubten sie überhaupt? Was hielt der Tod für die Sithi bereit? Sie waren Heiden und darum anders, aber An’nai war treu gewesen und tapfer. Mehr noch, er war freundlich zu Simon gewesen, auf seine seltsame Sithiart sogar sehr freundlich. Wie konnte An’nai nicht in den Himmel kommen? Was für ein blödsinniger Ort war der Himmel eigentlich?
Die Wut, die kurze Zeit nachgelassen hatte, kehrte zurück. Simon nahm einen der bereits gesammelten Stöcke und schleuderte ihn fort, so weit er konnte. Der Stock wirbelte durch die Luft, prallte auf und polterte den langen, steinigen Hang hinunter, bis er endlich an seinem Fuß im Unterholz verschwand.
»Komm, Simon!«, rief Sludig hinter ihm. »Wir brauchen dein Holz fürs Feuer. Hast du denn keinen Hunger?«
Simon achtete nicht auf ihn und starrte in den sich rötenden Himmel. In ohnmächtigem Zorn knirschte er mit den Zähnen. Als er eine Hand auf seinem Arm fühlte, schüttelte er sie erbost ab.
»Bitte, komm«, mahnte ihn der Rimmersmann freundlich. »Das Abendessen ist bald fertig.«
»Wo ist Haestan?«, fragte Simon durch schmale Lippen.
»Was meinst du?« Sludig legte den Kopf schräg. »Du weißt, wo wir ihn zurückgelassen haben, Simon.«
»Nein, ich meine, wo ist Haestan jetzt? Der wirkliche Haestan?«
»Ach so.« Sludig lächelte. Sein Bart war sehr dicht geworden. »Seine Seele ist im Himmel, bei Usires und Gott dem Herrn.«
»Nein.« Simon drehte sich um und schaute erneut zum Himmel auf, der jetzt durch die ersten vergänglichen Blautöne verdunkelt wurde.
»Wie? Warum sagst du das?«
»Er ist nicht im Himmel. Es gibt keinen Himmel. Wie kann es einen Himmel geben, wenn jeder ihn sich anders vorstellt?«
»Sei nicht so töricht.« Sludig sah ihn an und versuchte SimonsGedanken nachzuvollziehen. »Vielleicht kommt jeder in seinen eigenen Himmel«, meinte der Soldat dann und legte Simon die Hand wieder auf die Schulter. »Gott weiß, was er weiß. Komm, setz dich zu uns.«
»Wie kann Gott die Menschen grundlos sterben lassen?«, fragte Simon und schlug die Arme um seinen Oberkörper, als wollte er etwas in sich festhalten. »Wenn Gott das tun kann, ist er grausam. Wenn er aber nicht grausam ist, dann … also gut, dann kann er eben auch nichts tun. Wie ein alter Mann, der am Fenster sitzt, aber nicht nach draußen kann. Er ist alt und dumm.«
»Sprich nicht so von Gottvater«, sagte Sludig, und seine Stimme war eisig. »Gott lässt sich nicht von einem undankbaren Jungen verhöhnen. Er hat dir alle Gaben des Lebens geschenkt …«
»Das ist eine Lüge!«, brüllte Simon. Der Soldat riss vor Erstaunen die Augen auf. Am Lagerfeuer drehten sich Köpfe nach ihm um und suchten die Ursache des plötzlichen Lärms. »Es ist eine Lüge, eine Lüge! Was denn für Gaben? Am Boden zu kriechen wie ein Käfer, hierhin und dorthin, immer auf der Suche nach etwas Essbarem, einem Schlafplatz – um dann ohne Vorwarnung zertreten zu werden? Was für eine Gabe soll das sein? Das Rechte tun und … und das Böse bekämpfen, wie es im Buch Ädon steht? Wenn man das tut, wird man getötet. So wie Haestan! So wie Morgenes! Die Bösen leben weiter, leben, werden reich und lachen die Guten aus! Es ist alles eine einzige dumme Lüge!«
»Es ist schrecklich, so etwas zu sagen, Simon!«, erwiderte Sludig, dessen Stimme ebenfalls lauter
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