Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Krallen kratzten ohnmächtig über das Metall des Helms. Kreischend fuhr ein weiterer Vogel herunter and umschwirrte die Arme des Rimmersmannes, der seinen Speer schwang. Wieso trage ich keinen Helm? , dachte Simon angewidert und hob die Hand vor die plötzlich verwundbar gewordenen Augen.
Das kleine Wäldchen war erfüllt vom wütenden Geschrei der Vögel. Qantaqa hatte die Vorderpfoten an einen Stamm gestellt und schüttelte den Kopf hin und her, als hätte sie schon einen Raben im Maul.
Aus dem Baum über ihnen stürzte etwas Kleines und Stilles wie ein winziger Schneeball. Binabik fiel vor den Füßen des Rimmersmannes auf die Knie und barg es in den hohlen Händen.
»Ich habe ihn!«, rief er. »Zurück ins Freie! Sosa, Qantaqa!«
Die Hand in die Jacke gesteckt, kletterte er auf den Rücken der Wölfin. Er musste sich vor einem angreifenden Raben ducken.Wo gerade noch sein Kopf gewesen war, pfiff jetzt Sludigs Speerschaft und zerschmetterte den Vogel wie mit einer Keule. Schwarze Federn spritzten nach allen Seiten. Gleich darauf hatte die Wölfin Binabik aus den Bäumen herausgetragen. Simon und Sludig folgten eilig.
Trotz der zornigen Stimmen der Vögel hinter ihnen kam das offene Gelände draußen Simon erstaunlich still vor. Er sah sich um. Von den obersten Zweigen starrten ihnen gelbe Augen nach, aber die Raben verfolgten sie nicht. »Hast du den Vogel gerettet?«, fragte er.
»Reiten wir noch ein Stück weiter«, schlug Binabik vor. »Dann wollen wir sehen, was wir haben.«
Als sie kurze Zeit später anhielten, zog der Troll die Hand aus seiner Lederjacke und öffnete sie langsam, als sei er nicht sicher, was er darin finden würde. Der Vogel war tot – oder doch beinahe. Regungslos lag er auf der Seite, aus klaffenden Wunden rann Blut. An einem Bein hing ein Fetzen Pergament.
»Ich habe mir gedacht, dass es so sein könnte«, bemerkte Binabik und warf einen Blick über die Schulter. Wie bucklige Inquisitoren waren die dunklen Umrisse eines Dutzends Raben im nächsten Baum zu sehen. »Ich fürchte, wir kamen zu spät.«
Mit seinen kleinen Fingern rollte er das Pergament auseinander. Bis auf einen mageren Überrest war es zerkaut oder abgerissen. »Nur ein Fragment«, meinte Binabik traurig.
Simon betrachtete die winzigen Runen, mit denen das ausgefranste Stückchen bedeckt war. »Wir könnten unter den Bäumen nach dem Rest suchen«, sagte er und war von dieser Idee, kaum ausgesprochen, bereits selber nicht mehr überzeugt.
Der Troll schüttelte den Kopf. »Ich habe den Verdacht, dass dieser Rest den Weg in einen Rabenrachen gefunden hat – so wie es dem Streifchen hier und auch dem Boten selbst ergangen wäre, wenn wir noch später gekommen wären.« Er las mit schmalen Augen. »Wenige Worte kann ich entziffern, aber ich fühle keinen Zweifel daran, dass es für uns bestimmt war. Seht ihr?«
Er zeigte auf einen kaum wahrnehmbaren Schnörkel. »Kreis und Feder des Bundes der Schriftrolle. Ein Träger der Schriftrolle hat das geschickt.«
»Wer?«, fragte Simon.
»Geduld, Simon-Freund. Vielleicht verrät uns die Botschaft mehr.« Er hielt den sich kräuselnden Streifen so flach er konnte. »Zwei Stückchen nur kann ich entziffern. Hier: ›… te dich vor falschen Boten‹, und dort: ›Beeile dich. Der Sturm wird stä …‹. Darunter steht als Unterschrift das Zeichen des Bundes . «
»Falsche Boten«, flüsterte Simon erschrocken. »Das war doch mein Traum in Geloës Haus. Doktor Morgenes warnte mich vor dem falschen Boten.« Er versuchte, nicht mehr an den Traum zu denken, in dem der Doktor ein verkohlter Leichnam gewesen war.
»Dann heißt es wohl: ›Hüte dich vor falschen Boten‹«, sagte Binabik. »›Beeile dich. Der Sturm wird stä …‹ Stärker, nehme ich an.«
Die ungeheure Angst, die Simon seit Tagen unterdrückt hatte, stieg wieder in ihm auf. »Falsche Boten«, wiederholte er hilflos. »Was kann das bedeuten? Wer hat das geschrieben, Binabik?«
Der Troll zuckte die Achseln. Er steckte den Pergamentstreifen in seinen Rucksack und kniete dann nieder, um ein Loch in den Schnee zu graben. »Es muss ein Träger der Schriftrolle sein, und von ihnen gibt es nicht mehr viele. Vielleicht Jarnauga, sofern er noch lebt. Oder Dinivan in Nabban.« Er legte den kleinen grauen Vogel in das Loch und deckte ihn liebevoll mit Schnee zu.
»Dinivan?«, fragte Simon.
»Er ist der Gehilfe von Lektor Ranessin, dem Oberhaupt eurer Mutter Kirche«, erläuterte Binabik. »Ein sehr guter
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