Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Furcht. »Nein!«, schrie er. Die Hoffnung wallte in Simon auf, der Kleine wolle Skodi niederstechen. »Nein!«, kreischte Vren noch einmal und fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum. Tränen strömten ihm über die Wangen. »Warum behältst du sie? Warum behältst du ihn ?« Er zückte die Klinge. »Er ist zu alt, Skodi! Er ist böse! Nicht wie ich!«
»Vren, was tust du!« Skodi kniff erschreckt die Augen zusammen, als der Junge auf den Kreis zusprang. Rotschimmernd schoss die Klinge nach oben. Simons Muskeln brannten, als er dem Jungen auszuweichen versuchte, aber eine unsichtbare Hand hielt ihn fest. Schweiß brannte ihm in den Augen.
»Du kannst ihn nicht gernhaben!«, kreischte Vren. Mit einem heiseren Schrei gelang es Simon, sich gerade so weit zur Seite zu werfen, dass die auf seine Rippen zielende Klinge ihn verfehlte und stattdessen seinen Rücken traf, wo sie eine lange Spur silbrig kalter Schmerzen hinter sich herzog. Etwas im Feuer brüllte wie ein Stier, dann schlug die Dunkelheit über Simon zusammen und löschte die blassen Sterne aus.
Eolair hatte Maegwin einen Augenblick allein gelassen, um durch die große Tür zurückzugehen und eine zweite Lampe zu holen.
Während sie darauf wartete, dass der Graf von Nad Mullach zurückkehrte, schaute die Prinzessin glücklich auf die riesige steinerne Stadt in der Höhle unter ihr hinab. Ein großer Stein war von ihrem Herzen gefallen. Hier stand die Stadt der Sithi, Hernystirs uralte Bundesgenossen. Sie hatte sie gefunden! Eine Weile hatte Maegwin sich wirklich selbst schon für so verrückt gehalten, wie man es ihr nachsagte, aber hier war die Stadt. Zuerst war sie ihr in ihren Träumenerschienen – als Chaos in unruhigen Träumen, die dunkel und wirr waren, voll von den gequälten Gesichtern der geliebten Toten. Dann begannen andere Bilder sich darüberzulegen. Diese neuen Träume zeigten ihr eine Stadt von großer Schönheit, mit wehenden Bannern, voller Blumen und betörender Musik, verborgen vor dem Krieg und Blutvergießen der Welt. Auch wenn sie besser waren als ihre Alpträume, hatten diese Visionen, die in den letzten, flüchtigen Sekunden ihres Schlafs vor ihr auftauchten, durchaus nicht zu ihrer Beruhigung beigetragen. Ihre Üppigkeit, ihre exotischen Wunder hatten Maegwin erst recht um ihren verstörten Geist fürchten lassen. Sie hatte angefangen, in den Tunneln des Grianspog umherzuwandern, und schon bald ein Flüstern aus den Tiefen der Erde vernommen, singende Stimmen, die sich von allem unterschieden, das sie je gehört hatte.
Die Vorstellung von der uralten Stadt war in ihr gewachsen und stark geworden, bis sie ihr um vieles wichtiger wurde als alles, was oben im Schein des Sonnenlichtes geschah. Sonnenschein brachte Böses mit sich; das Tagesgestirn war ein Fanal des Unglücks, eine Leuchte, mit deren Hilfe die Feinde Hernystirs ihr Volk finden und vernichten konnten. Nur in der Tiefe lag Geborgenheit, unten bei den Wurzeln der Berge, wo die Helden und Götter der alten Zeiten noch am Leben waren und wohin der grausame Winter nicht vordringen konnte.
Nun, da diese phantastische Stadt hier unten vor ihr lag – ihre Stadt –, überkam sie ein Gefühl unendlicher Befriedigung. Zum ersten Mal, seitdem ihr Vater König Lluth in die Schlacht gegen Skali Scharfnase gezogen war, herrschte Frieden in ihrem Herzen. Gewiss, die steinernen Türme und Kuppeln, die die Felsenschlucht dort unten füllten, entsprachen nicht unbedingt dem Bild der luftigen Sommerstadt aus ihren Träumen; aber es ließ sich kaum bezweifeln, dass die Hände, die diesen Ort geschaffen hatten, nicht menschlich waren. Die Stadt stand an einer Stelle, die seit unvordenklichen Zeiten kein Hernystiri mehr aufgesucht hatte; wenn sie also nicht die Heimstatt der unsterblichen Sithi war, was dann? Es musste ihre Stadt sein, das war nur allzu klar.
»Maegwin?«, rief Eolair und schlüpfte durch die halboffene Tür.»Wo seid Ihr?« Die Sorge in seiner Stimme zauberte ein winziges Lächeln auf ihr Gesicht; aber sie verbarg es vor ihm.
»Hier natürlich, Graf, wo Ihr mir zu bleiben befahlt.«
Er kam zu ihr, stellte sich neben sie und schaute in die Tiefe. »Götter von Stock und Stein«, sagte er kopfschüttelnd, »es ist ein Wunder.«
Maegwins Lächeln kehrte zurück. »Was sonst erwartet Ihr von einem Ort wie diesem? Lasst uns hinuntersteigen und sehen, wer dort wohnt. Ihr wisst, dass unser Volk in großer Not ist.«
Eolair betrachtete sie skeptisch. »Prinzessin, ich
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