Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
der ihr vorher aufgefallen war, verschwand nicht. Es war vielmehr, als sinke er ein Stück tiefer und lege sich über jede Falte seines Gesichts. »Ihr habt mir ein Versprechen gegeben, Maegwin. Bevor ich die Tür öffnete, sagtet Ihr, Ihr würdet Euch meiner Entscheidung fügen. Ich hielt Euch nicht für wortbrüchig. Ich weiß, dass Euer Vater es niemals war.«
Getroffen führ Maegwin zurück. »Lasst meinen Vater aus dem Spiel!«
Eolair schüttelte den Kopf. »Trotzdem habt Ihr es mir versprochen, Herrin.«
Maegwin sah ihn an. Etwas in seinem vorsichtigen, klugen Gesicht rührte sie, sodass sie nicht einfach die Treppe hinunterrannte, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte. Eine innere Stimme spottete über ihre Dummheit, aber sie sah ihm gerade in die Augen.
»Ihr habt nur teilweise recht, Graf Eolair«, sagte sie bedächtig. »Erinnert Euch – Ihr konntet das Tor nicht allein öffnen. Ich musste Euch helfen.«
Er betrachtete sie scharf. »Das heißt?«
»Das heißt, dass wir einen Vergleich schließen. Ich weiß, Ihr haltet mich für starrköpfig oder noch Schlimmeres, aber dennoch lege ich Wert auf Eure Freundschaft, Eolair. Ihr seid dem Hause meines Vaters stets verbunden gewesen.«
»Ein Handel, Maegwin?«, fragte er ausdruckslos.
»Wenn Ihr mit mir bis ans Ende der Treppe geht – nur bis wir den Fuß auf die Steinplatten der Stadt setzen können –, dann werde ich umkehren und mit Euch zurückgehen … wenn Ihr das wollt. Das verspreche ich.«
Eolairs Lippen umspielte ein müdes Lächeln. »Ihr versprecht es?«
»Ich schwöre bei Bagbas Herde.« Sie legte die schmutzige Hand auf die Brust.
»Hier unten solltet Ihr lieber beim Schwarzen Cuamh schwören.« Er verzog unzufrieden das Gesicht. Aus seinem langen Pferdeschwanz hatte sich das Band gelöst. Das Haar floss schwarz um seine Schultern. »Also gut. Ich habe keine Lust, Euch gegen Euren Willen diese Stufen hinaufzutragen.«
»Ihr würdet es nicht können«, meinte Maegwin zufrieden. »Ich bin zu stark. Kommt, wir wollen schneller gehen. Wie Ihr sagtet: wir werden erwartet.«
Schweigend stiegen sie weiter die Treppe hinunter. Maegwin genoss die Sicherheit der Schatten und steinernen Berge, Eolair war in seine eigenen, unausgesprochenen Gedanken versunken. Obwohl die Treppe breit wahr, fürchteten sie Fehltritte und achteten darum auf ihre Füße. Die Stufen hatten sich gesenkt und waren von Rissen durchzogen, als hätte die Erde sich in unruhigem Schlaf bewegt, aber die Steinarbeiten waren von großer Schönheit und feiner Ausführung. Der Schein der Lampen beleuchtete Spuren komplizierter Muster, die sich über die Stufen und hinauf an die Wand über der Treppe zogen, Ritzungen, so zart wie die Wedel junger Farne oder die schuppenartig übereinanderliegenden Federn von Kolibris. Maegwin konnte sich eines befriedigten Lächelns nicht enthalten, als sie Eolair darauf hinwies.
»Seht Ihr das?« Sie hielt ihre Lampe an die Wand. »Kann das ein Werk bloßer Sterblicher sein?«
»Ich sehe es, Herrin«, versetzte Eolair ernst. »Aber auf der anderen Seite der Treppe ist keine solche Wand.« Er deutete auf den steilen Absturz hinab in die Schlucht. Obwohl sie bereits ziemlich weit unten waren, war der Boden noch immer so weit entfernt, dass einAbsturz mit großer Sicherheit den Tod zur Folge gehabt hätte. »Bitte widmet den Steinschnitzereien nicht so viel Aufmerksamkeit, dass Ihr über den Rand stolpert.«
Maegwin machte einen Knicks. »Ich werde mich bemühen, Graf.«
Eolair runzelte die Stirn, vielleicht über ihre Leichtfertigkeit, nickte jedoch nur.
Die große Treppe weitete sich unten wie ein am Grund der Schlucht ausgebreiteter Fächer. Als sie die überhängende Höhlenwand hinter sich gelassen hatten, schien der Schein ihrer Lampen schwächer zu werden, das Licht nicht stark genug zu sein, um die tiefe, alles verschlingende Dunkelheit zu durchdringen. Gebäude, die oben vom Rand der Schlucht ausgesehen hatten wie kunstreich geschnitztes Spielzeug, ragten jetzt hoch über ihnen auf, ein fantastisches Gewirr düsterer Kuppeln und gewundener Türme, die sich oben in der Schwärze verloren wie unfassbar große Stalagmiten. Felsbrücken wuchsen von den Höhlenwänden zu den Türmen und wanden sich zwischen den Turmspitzen hindurch wie Bänder. Die einzelnen Teile der Stadt waren auf diese Weise mit schmalen Häuten aus Stein verbunden, sodass der Ort eher das Aussehen eines einzigen, atmenden Lebewesens als einer künstlich errichteten
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