Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
es ausdrücken können, nahm das Nordufer des oberen Zinkens der gabelförmigen Bucht von Firannos ein. Nur dass es in dieser Gegend kein eigentliches Ufer gab. Die Stadt lag am nördlichsten Rand des Wran, gehörte aber eindeutig noch zum Marschgebiet.
Was einst ein unbedeutendes Handelsdorf aus ein paar Dutzend Baumhäusern und Pfahlbauten gewesen war, hatte sich gewaltig ausgedehnt, als die Kaufleute von Nabban, Perdruin und den Südlichen Inseln die Vielzahl wertvoller Dinge entdeckten, die aus dem unzugänglichen Inneren des Wran kamen – unzugänglich für alle außer natürlich den Wranna. Exotische Federn für die Kleider edler Frauen, getrockneter Schlamm für Farben und Apothekerpülverchen, Minerale von unvergleichlicher Seltenheit und Wunderkraft, das alles und noch viel mehr ließ die Basare von Kwanitupul von Kaufleuten und Händlern wimmeln, die von der ganzen Küste hierherkamen. Da man von eigentlichem Land nicht sprechen konnte, hatte man Pfähle tief in den Schlamm getrieben und flache Boote mit zermahlenenSteinen und Mörtel beladen und entlang der Ufer der sumpfigen Wasserläufe versenkt. Über diesen Fundamenten waren unzählige Hütten und Laufstege entstanden.
Als Kwanitupul wuchs, siedelten sich Nabbanai und Perdruineser an und teilten sich mit den einheimischen Wranna die baufälligen Stadtviertel, bis der Handelsplatz sich über viele Meilen voller Kanäle und schwankender Brücken erstreckte und die äußeren Verästelungen des Sumpfs überwucherte wie ein Teppich von Wasserhyazinthen. Sein schäbiger Glanz beherrschte längst die Bucht von Firannos wie seine ältere und größere Schwester Ansis Pelippé die Bucht von Emettin und die mittlere Westküste von Osten Ard.
Noch immer benommen vom Fieber, trieb Tiamak endlich aus dem wilden Inneren des Sumpfs in die zunehmend bevölkerten Wasseradern von Kwanitupul. Zuerst teilten nur ein paar andere Flachboote das grüne Wasser mit ihm, fast alle von Wranna gestakt, von denen viele zu Ehren ihres ersten Besuchs in der größten aller Marschstädte ihren schönsten Stammesfederschmuck trugen. Weiter stadteinwärts verstopfte ein Heer anderer Wasserfahrzeuge die Kanäle, nicht nur kleine Boote wie Tiamaks Kahn, sondern Schiffe in allen Größen und Formen, von den wundervoll geschnitzten und überdachten Barken der reichen Kaufleute bis zu riesigen Getreideschiffen und Schleppkähnen, die behauenen Stein transportierten und über die Wasserwege dahinglitten wie gebieterische Wale; sie zwangen die kleineren Boote zum hastigen Ausweichen, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollten, vom wogenden Kielwasser überflutet zu werden.
Bisher hatte Tiamak die Sehenswürdigkeiten von Kwanitupul immer sehr genossen, obwohl er im Gegensatz zu seinen Stammesgenossen schon in Ansis Pelippé und anderen Hafenstädten von Perdruin gewesen war, neben denen Kwanitupul wie ein leicht schäbiger Abklatsch erschien. Aber ein neuerlicher Fieberanfall quälte ihn. Das Plätschern des Wassers und die Rufe der Kwanitupuli klangen seltsam gedämpft; die Wasserstraßen, die er schon so oft befahren hatte, wirkten drohend und fremd.
Er zermarterte sich den schwindelnden Kopf über den Namen derHerberge, die er aufsuchen sollte. In seinem Brief, über dessen Zustellung Tiamaks tapfere Taube Tintenfleck zur Märtyrerin geworden war, hatte Vater Dinivan geschrieben … hatte geschrieben …
Du wirst dringend gebraucht. Ja, daran erinnerte er sich. Das Fieber machte ihm das Denken so schwer … Geh nach Kwanitupul, hatte Dinivan geschrieben, steig in der Herberge ab, über die wir gesprochen haben, und warte dort auf weitere Nachrichten von mir. Was hatte der Priester ihm noch mitgeteilt? Vielleicht hängt mehr von dir ab als nur das Leben einiger Menschen.
Aber über welche Herberge hatten sie denn gesprochen? Tiamak, von einem Farbfleck vor seinem trüben Blick erschreckt, sah gerade noch rechtzeitig auf, um zu verhindern, dass sein Boot sich quer vor ein größeres Fahrzeug stellte, dessen Rumpf mit zwei glühenden Augen bemalt war. Der Besitzer hüpfte am Bug auf und ab und drohte dem vorbeitreibenden Tiamak mit der Faust. Der Mund des Mannes bewegte sich, aber Tiamak spürte nur ein dumpfes Rauschen in den Ohren, als er aus dem Kielwasser des anderen glitt. Welche Herberge?
»Pelippas Schüssel!« Der Name fuhr durch ihn hindurch wie ein Blitz. Er merkte nicht, dass er ihn laut hinausgeschrien hatte, aber auf dem Kanal herrschte ein derartiger Lärm, dass seine
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