Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Augenblick vergessen hatte, was er damit sollte, bis er merkte, dass er zu einem im Wind hin- und herschwingenden Schild aufsah, das mit einer goldenen Schüssel bemalt war. Eine Weile starrte er es unsicher an und konnte sich nicht recht erinnern, wie er an diesen Ort gelangt war. Dann schaute er sich nach einer Stelle um, an der er sein Boot anbinden könnte.
Das Zeichen der Schüssel hing über der Tür einer großen, aber eher unscheinbaren Herberge in einer abgelegenen Ecke des Speicherviertels. Das wacklige Gebäude schien zwischen zwei größeren Häusern zu hängen wie ein Betrunkener an den Ellenbogen seiner Zechbrüder. Unten im Wasser schaukelte eine ganze Flotte von kleinen und mittelgroßen Flachbooten, die an dem primitiven Landungssteg angebunden oder einfach an den Pfählen festgezurrt waren,die das Gebäude und seine verwahrlosten Nachbarn über Wasser hielten. Die Herberge war überraschend still, als lägen Gäste und Hausknechte in tiefem Schlaf.
Tiamaks Fieber war mit Macht zurückgekehrt, und seine Anstrengungen hatten ihn fast völlig erschöpft. Missmutig betrachtete er die vom Steg herunterhängende Strickleiter. Sie war übel verheddert; selbst wenn er mit der Steuerstange danach stieß, fehlte noch eine gute Elle bis zur untersten Sprosse. Er erwog einen Sprung, um dieses letzte Stück zu überbrücken, aber selbst in seinem geschwächten Zustand begriff Tiamak, dass jemand, der zum Schwimmen zu matt war, kaum etwas Dümmeres tun konnte, als in einem kleinen Boot auf und ab zu hüpfen. Endlich, als er merkte, dass er so nicht weiterkam, rief er heiser um Hilfe.
Wenn das eine von Morgenes’ bevorzugten Herbergen war, dachte er benommen, dann musste der Doktor einiges an Nachlässigkeit aushalten können. Tiamak wiederholte erneut sein blökendes Schreien und staunte über den schmerzlichen Klang seiner eigenen Stimme, wie sie durch dieses menschenleere Viertel von Kwanitupul hallte. Endlich erschien in der Tür ein weißhaariger Kopf und verharrte dort lange, um Tiamak zu betrachten, als sei er ein fesselndes, jedoch unlösbares Rätsel. Dann verließ der Besitzer des Kopfes den Schutz des Türrahmens und kam näher. Es war ein alter Perdruineser oder Nabbanai, groß und gut gewachsen, dessen wohlgebildetes, rosiges Gesicht den unfertigen Ausdruck eines kleinen Kindes trug. Er blieb stehen und hockte sich an den Rand des Steges, um mit freundlichem Lächeln auf Tiamak hinunterzublicken.
»Die Leiter.« Tiamak schwenkte seine Steuerstange. »Ich komme nicht an die Leiter.«
Der alte Mann sah gutmütig von Tiamak auf die Leiter und schien dann eine Weile ernsthaft über das alles nachzudenken. Schließlich nickte er, und sein Lächeln wurde breiter. Trotz seiner furchtbaren Müdigkeit und der Schmerzen, die in seinem Bein pochten, merkte Tiamak, dass auch er den sonderbaren alten Vogel anlächelte. Nachdem dieser wortlose Austausch von Wohlwollen einige Zeit gedauert hatte, drehte der Mann sich unvermittelt um und verschwand wieder in der Tür.
Tiamak heulte verzweifelt, aber der alte Mann kam sehr schnell zurück, in der langfingrigen Hand einen Bootshaken, mit dessen Hilfe er die Leiter freischaukelte; sie rollte sich aus, und das untere Ende klatschte ins grüne Wasser, Tiamak überlegte einen Augenblick, raffte dann ein paar Sachen aus dem Boot zusammen und fing an zu klettern. Den Kahn hatte er an einen Pfahl gebunden. Erstaunt stellte der Wranna fest, dass er auf der kurzen Drei-Faden-Strecke nach oben zweimal haltmachen und sich ausruhen musste. Das von dem Krokodil zerfleischte Bein brannte wie Feuer.
Als er oben ankam, drehte sich alles. Der alte Mann war hineingegangen, aber als Tiamak die schwere Tür aufgeschoben hatte und hineingehumpelt war, fand er ihn wieder. Er saß in der Ecke eines Innenhofs auf einem Haufen Decken, die offenbar sein Lager bildeten, umgeben von Taurollen und verschiedenen Werkzeugen. Den größten Teil der feuchten Hoffläche nahmen zwei umgedrehte Bootsrümpfe ein. Der eine war übel aufgerissen wie von einem scharfkantigen Felsen, der andere zur Hälfte frisch gestrichen.
Tiamak suchte sich einen Weg durch die Krüge mit weißer Farbe, die überall im Hof herumstanden. Der alte Mann lächelte ihn noch einmal töricht an und legte sich dann in seinen Decken zurecht, als wollte er schlafen.
Die Tür auf der anderen Hofseite führte in die eigentliche Herberge. Im Erdgeschoss schien es nur einen ziemlich langweiligen Schankraum mit einer Handvoll
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