Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
in den Gartenländern hinter der See. Und als der größte Teil von Ruyans Volk uns endlich verließ, um in sein eigenes Land zu ziehen, war das, so meine ich, der Augenblick, von dem an der Schatten zu wachsen anfing. Ach, Hakatri, wahnsinnig waren wir, altes Unrecht an diesen neuen Ort mitzunehmen, Unrecht, das mit unserer Heimat im äußersten Osten zusammen hätte untergehen sollen …«
Die Narrenmaske tanzte vor Tiamaks Augen auf und ab. Sie glänzte im Feuerschein und war mit absonderlichen Federn und Hörnern besetzt. Einen Moment lang war er verwirrt. Wieso war jetzt schon Windfest? Bis zur jährlichen Feier für Ihn-der-die-Bäume-biegt waren es doch noch Monate? Und trotzdem musste es ein Windnarr sein, der sich da vor ihm verbeugte und herumhüpfte – und welche andere Erklärung konnte es dafür geben, dass Tiamak der Kopf so entsetzlich wehtat, als den übermäßigen Genuss von Farnbier, ein sicheres Zeichen, dass die Festtage angebrochen waren?
Der Windnarr gab ein sanftes, klickendes Geräusch von sich und zupfte an etwas, das Tiamak in der Hand hielt. Was mochte er wollen? Dann fiel es Tiamak ein. Natürlich wollte der Narr seineMünze; von allen wurde erwartet, dass sie Perlen oder Geldstücke für Ihn-der-die-Bäume-biegt bei sich trugen. Die Narren sammelten diesen glitzernden Tribut in Tonkrügen, die sie gegen den Himmel schüttelten. Das dabei entstehende Rasseln und Klappern war die Hauptmusik des Festes – ein Lärm, der das Wohlwollen des Baumbiegers sicherte, sodass er verderbenbringende Winde und Überschwemmungen zurückhielt.
Tiamak wusste, dass er dem Narren die Münze geben sollte, schließlich hatte er sie deshalb mitgebracht. Aber die Beharrlichkeit, mit der der Windnarr ihn betastete, weckte in Tiamak ein Gefühl des Unbehagens. Die Narrenmaske zwinkerte und grinste boshaft; Tiamak, den eine wachsende Unruhe befiel, hielt das Metall nur noch fester. Was stimmte hier nicht?
Plötzlich wurde sein Blick wieder klar. Entsetzt riss er die Augen auf. Die hüpfende Narrenmaske verwandelte sich in das Chitingesicht eines Ghants, der unmittelbar über seinem Boot hing und sich an einer Ranke festklammerte, die von einem über den Fluss gewachsenen Ast herunterbaumelte. Der Ghant stocherte mit seiner Insektenklaue vorsichtig zwischen Tiamaks Fingern herum und versuchte geduldig, das Messer aus dem vom Schlaf schweißfeuchten Griff des Wranna zu ziehen.
Der kleine Mann stieß einen angewiderten Aufschrei aus und warf sich nach hinten ins Heck seines Flachbootes. Der Ghant schnarrte und klickte mit den Mundfühlern. Er wedelte mit einem gepanzerten Vorderbein, als wollte er Tiamak versichern, es handele sich lediglich um ein Missverständnis. Tiamak riss die Steuerstange hoch und schwang sie breitseits, sodass er den Ghant voll erwischte, bevor dieser wieder die Ranke hinaufhuschen konnte. Ein lauter Knall, und der Ghant flog quer über den Fluss, die Beine angezogen wie eine versengte Spinne. Mit einem kleinen Aufspritzer versank er im grünen Wasser.
Tiamak schauderte vor Ekel und wartete darauf, dass der Ghant wieder auftauchte. Über ihm ertönte ein Chor trockener Klackgeräusche. Hastig blickte er auf und fand ein halbes Dutzend weiterer Ghants, alle von der Größe eines stattlichen Affen, die von den schützenden oberen Ästen auf ihn herunterglotzten. Die ausdruckslosenschwarzen Augen funkelten. Tiamak zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie binnen Sekunden über ihn herfallen würden, wenn sie merkten, dass er nicht aufrecht stehen konnte. Trotzdem wunderte er sich, dass Ghants einen erwachsenen Menschen angriffen, selbst wenn er verletzt war. Aber seltsam oder nicht, er konnte nur hoffen, dass sie nicht merkten, wie schwach er tatsächlich war oder was der blutige Verband an seinem Bein bedeutete.
»Jawohl, ihr hässlichen Käfer!«, schrie er und fuchtelte mit Steuerstange und Messer herum. Von seinem eigenen Geschrei tat ihm der Kopf weh. Er zuckte zusammen und betete stumm, dass er vor Erschöpfung nicht ohnmächtig würde, denn er war überzeugt, dann nicht mehr aufzuwachen. »Kommt nur herunter, und ich gebe euch die gleiche Lektion wie eurem Freund!«
Die Ghants schnatterten mit beiläufiger Bosheit zu ihm hinab, als wollten sie sagen, dass sie es nicht eilig hätten. Wenn sie ihn heute nicht erledigten, würden es schon bald andere Ghants tun. Verkrustete, mit Flechten bewachsene Panzer schabten über die Weidenäste, als die Ghants sich höher auf den Baum
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