Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
und zu Elias’ Bruder Josua überlaufen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass das Überleben des Prinzen nicht mehr als ein Gerücht war, würden sich der Graf und seine Gefolgschaft einen Ort suchen, an dem sie nach eigenen Gesetzen leben konnten, fern vom Zugriff jenes vom Fieber zermarterten Geschöpfes, das einmal sein Freund gewesen war.
Elias klopfte ihm steif auf die Schulter, beugte sich dann vor und winkte befehlend mit der Hand. Zwei Männer der Erkyngarde hoben die langen Hörner und bliesen zum Appell. Die etwa hundert Wachsoldaten verdoppelten ihre Anstrengungen, die bockenden Tiere inReih und Glied zu bringen. Vom Wind gepeitscht, drohte das smaragdgrüne Drachenbanner des Königs aus der Hand seines Trägers zu rutschen. Nur wenige aus der Zuschauermenge jubelten dem König zu. Ihre Stimmen gingen im Geräusch des Windes und dem Prasseln der Graupel fast unter.
»Vielleicht solltet Ihr mir gestatten, hinunterzugehen, Majestät«, schlug Guthwulf ruhig vor. »Die Pferde fürchten sich bei diesem Sturm. Wenn sie durchgehen, werden sie mitten in die Menge hineinrennen.«
Elias runzelte die Stirn. »Wie, sorgst du dich um ein paar Tropfen Blut unter ihren Hufen? Sie sind für die Schlacht gezüchtet; es wird ihnen nicht schaden.« Er sah den Grafen von Utanyeat an. Seine Augen waren so fremdartig, dass Guthwulf unwillkürlich zurückzuckte. »So ist es nun einmal, weißt du«, fuhr Elias fort, und seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. »Entweder tritt man in den Staub, was einem entgegensteht, oder man wird selbst in den Staub getreten. Es gibt keinen Mittelweg, Freund Guthwulf.«
Der Graf hielt den Blick des Königs lange Sekunden aus und schaute dann weg. Kummervoll starrte er hinab in die Menge. Was sollte das heißen? Hegte Elias einen Verdacht? War diese ganze Veranstaltung nur ein aufwendig arrangierter Auftritt für den König, damit er seinen alten Kameraden als Verräter brandmarken und seinen Kopf zu den anderen schicken konnte, die sich dicht wie Brombeerdolden über dem Nerulagh-Tor drängten?
»Ah, mein König«, schnarrte eine Stimme, die Guthwulf nur allzu gut kannte, »schöpft Ihr ein wenig Luft? Ich hätte Euch einen schöneren Tag dafür gewünscht.«
Im Türvorhang hinter dem Balkon stand Pryrates, die Zähne zu einem füchsischen Grinsen entblößt. Über seinem gewöhnlichen Scharlachgewand trug der Priester einen weiten Kapuzenmantel.
»Ich freue mich, Euch hier zu sehen«, antwortete Elias. »Ich hoffe, Ihr habt Euch von der langen Reise gestern ausgeruht.«
»Ja, Hoheit. Es war eine Reise, die mich sehr erschüttert hat, aber eine Nacht in meinem eigenen Bett im Hjeldinturm hat Wunder gewirkt. Ich stehe Euch zu Diensten.« Der Priester machte eine kleine, ironische Verbeugung, die seinen kahlen, bleichen Schädel für einenAugenblick aufglänzen ließ. Dann richtete er sich auf und schaute zu Guthwulf hinüber. »Und der Graf von Utanyeat. Einen guten Morgen wünsche ich Euch, Graf. Wie ich höre, verlasst Ihr die Burg im Auftrag des Königs.«
Guthwulf musterte Pryrates mit kalter Abneigung. »Gegen Euren Rat, wie ich höre.«
Der Alchimist zuckte die Achseln, wie um anzudeuten, dass es auf seine persönlichen Vorbehalte nicht ankomme. »In der Tat meine ich, dass es für Seine Majestät wichtigere Dinge geben könnte als die Suche nach seinem Bruder. Josuas Macht wurde mit dem Fall von Naglimund gebrochen; ich halte es nicht für nötig, ihn weiter zu verfolgen. Ich glaube, dass er wie ein Saatkorn auf steinigem Grund nirgends Halt und keinen Platz finden wird, an dem seine Kraft wachsen und gedeihen kann. Niemand würde es wagen, gegen den Bann des Hochkönigs zu verstoßen und einem solchen Abtrünnigen Zuflucht zu gewähren.« Noch einmal zuckte er die Achseln. »Aber ich bin nur ein Ratgeber. Der König weiß selbst, was er will.«
Elias hatte auf die schweigsame Menge unten im Hof geblickt und schien das Gespräch gar nicht gehört zu haben. Gedankenverloren rieb er an der eisernen Krone auf seiner Stirn, als bereite sie ihm Unbehagen. Guthwulf fand, dass die Haut des Königs kränklich und durchsichtig aussah.
»Seltsame Zeiten«, sagte Elias halb zu sich selbst. »Seltsame Zeiten …«
»Allerdings, seltsame Zeiten«, fiel Guthwulf ein und ließ sich zu einer unbedachten Bemerkung verleiten: »Priester, ich hörte, Ihr hieltet Euch in ebenjener Nacht in der Sancellanischen Ädonitis auf, als der Lektor ermordet wurde.«
Pryrates nickte
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