Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
große Aufgabe anvertraut, eine Aufgabe, die zum Stoff von Legenden werden konnte. Bald schon – er fühlte es mit einer Gewissheit, die ihn erzittern ließ – würde die Aufgabe erfüllt sein. Ingen ließ den Dolch in den Ärmel zurückgleiten.
»Lauf, Niku’a«, flüsterte er, als könnten ihn die verborgenen Sterne verraten, wenn sie ihn hörten. »Es ist Zeit, unsere Beute in ihrem Lager zu stellen. Wir jagen!« Ingen sprang in den Sattel. Sein geduldiges Reittier regte sich, als erwache es aus dem Schlaf.
Wirbelnd wehte der Schnee durch die leere Nacht, in der eben noch ein Mann, ein Pferd und ein Hund gestanden hatten.
Das Licht des Nachmittags verging, und die durchscheinenden Wände von Jirikis Haus färbten sich langsam dunkler. Aditu hatte Simon eine Mahlzeit aus Obst und warmem Brot in sein Zimmer gebracht, eine Freundlichkeit, für die er ihr noch dankbarer gewesen wäre, wenn sie nicht dageblieben wäre, um ihn zu quälen. Es war nicht so, dass Simon Aditus Gesellschaft nicht genossen und ihreexotische Schönheit nicht bewundert hätte; im Gegenteil, es waren gerade ihre Schönheit und ihre Schamlosigkeit, die ihn verwirrten und es ihm ungemein schwer machten, sich auf so alltägliche Dinge wie essen zu konzentrieren.
Wieder fuhr Aditu ihm mit dem Finger das Rückgrat hinauf. Simon verschluckte sich fast an einem Bissen Brot. »Lass das!«
Die Sitha betrachtete ihn interessiert. »Warum? Bereitet es dir Schmerzen?«
»Nein! Natürlich nicht. Es kitzelt.« Simon wandte sich verdrießlich ab und schämte sich für seine schlechten Manieren, allerdings nicht übermäßig. Wie immer in Aditus Nähe fühlte er sich ganz durcheinander. Jiriki, so fremdartig er auch erscheinen mochte, hatte Simon nie das Gefühl gegeben, ein plumper Sterblicher zu sein; neben Aditu kam er sich vor wie ein Lehmklumpen.
Sie war heute fast nur mit Federn, Edelsteinperlen und ein paar Stoffstreifen bekleidet. Ihr glänzender Körper duftete nach parfümierten Ölen.
»Es kitzelt? Aber ist das denn schlimm?«, fragte sie weiter. »Ich will dir nicht wehtun oder dir Unbehagen bereiten, Seoman. Es ist nur, dass du so …«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »… so anders bist und ich so selten deinesgleichen aus der Nähe erlebt habe.« Sie schien seine Verwirrung zu genießen. »Du bist hier sehr breit …« Sie fuhr mit den Fingern von einer Schulter zur anderen und seufzte, als die Berührung einen neuen gedämpften Aufschrei hervorrief. »Ich sehe deutlich, dass du anders bist als unser Volk.«
Simon, der ihr sofort wieder entwischt war, brummte. Er fühlte sich nicht wohl in ihrer Gegenwart, das war die schlichte Wahrheit. Ihre Anwesenheit gab ihm das Gefühl, irgendwo an einem höchst unangenehmen Jucken zu leiden, und in seiner Einsamkeit sehnte er sich nach ihren Besuchen und fürchtete sich doch davor. Jedes Mal, wenn er verstohlen ihren schlanken Körper betrachtete, den sie mit einer Unbekümmertheit zur Schau stellte, die ihn noch immer in tiefster Seele schockierte, musste er an Vater Dreosans donnernde Predigten denken. Zu seiner Verblüffung entdeckte Simon, dass der Priester, den er immer für einen Trottel gehalten hatte, doch recht gehabt hatte – der Teufel stellte dem Fleisch tatsächlich Fallen. Derbloße Anblick von Aditus katzenhaft geschmeidigen Bewegungen reichte, Simon mit einem unruhigen Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit zu erfüllen. Er wusste, dass alles noch schlimmer war, weil Jirikis Schwester nicht einmal seiner eigenen Rasse angehörte.
So wie der Priester es ihn gelehrt hatte, versuchte Simon, sich das reine Antlitz der Gottesmutter Elysia vor Augen zu halten, wenn ihn die Versuchungen des Fleisches quälten. Zu Hause auf dem Hochhorst war Simon diesem Gesicht in Hunderten von Gemälden und Figuren, im Kerzenlicht zahlloser Schreine begegnet. Jetzt aber musste er betrübt feststellen, dass ihn sein Gedächtnis im Stich ließ. In seiner Erinnerung kamen ihm die Augen von Usires’ heiliger Mutter viel schelmischer und … katzenhafter … vor, als es sich für eine fromme Frau gehörte.
Aber bei allem Unbehagen war er Aditu doch dankbar, dass sie sich um ihn kümmerte, denn er war einsam; auch wenn er manchmal fand, dass sie es nur recht beiläufig tat und sie ihn oft neckte, ohne seine Gefühle im mindesten zu beachten. Besonders dankbar war er für das Essen. Jiriki war neuerdings selten zu Hause, und Simon wusste nie so genau, welche von den Früchten, Gemüsen und weniger
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