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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nach wie vor durchaus lebendig. Morgenes hatte ihm einmal geraten, sich eine Heimat im eigenen Kopf zu schaffen. So konnte sie ihm niemand wegnehmen. War es das, was der Doktor damals gemeint hatte? Sich immer gleich zu bleiben, wohin man auch kam, auch wenn die furchtbarsten Dinge geschahen? Irgendwie konnte Simon das nicht glauben.
    »Ich will dich nicht mit Benimmregeln belasten«, sagte Jiriki plötzlich. Simon erschrak. »Es gibt bestimmte Riten, die zu vollziehen sind, bevor man sich der Ersten Großmutter nähert, aber du kennst sie nicht, und selbst wenn man dich in sie einweihte, könntest du sie nicht alle durchführen. Ich glaube jedoch nicht, dass du dir deswegen Sorgen zu machen brauchst. Ich glaube, Amerasu möchte dich sehen, weil du bist, wer du bist, und gesehen hast, was du gesehen hast, nicht weil sie die Sechs Gesänge des Respektvollen Ersuchens von dir hören möchte.«
    »Die sechs was?«
    »Unwichtig. Nur vergiss eines nicht: Obwohl Erste Großmutter zur selben Familie gehört wie Aditu und ich, sind wir beide Kinder der Letzten Tage. Amerasu die Schiffgeborene dagegen zählt zu den ersten sprechenden Wesen, die überhaupt den Fuß auf den Boden von Osten Ard setzten. Ich sage das nicht, um dich zu ängstigen«, fügte er hastig hinzu, als er im Mondlicht Simons bekümmertes Gesicht sah, »sondern nur, damit du begreifst, wie sehr sie sich selbst von meinem Vater und meiner Mutter noch unterscheidet.«
    Wieder trat Schweigen ein, während Simon darüber nachdachte. Konnte die schöne Frau mit den traurigen Augen wirklich eines der ältesten Lebewesen der ganzen Welt sein? Er zweifelte nicht an Jirikis Aufrichtigkeit, aber so sehr er seine Fantasie auch anstrengte, die Worte des Prinzen blieben für ihn unfasslich.
    Der gewundene Pfad führte sie über eine steinerne Brücke. Auf der anderen Seite des Flusses schlugen sie den Weg nach dem dichter bewaldeten Teil des Tales ein. Simon bemühte sich, seinem Gedächtnis die Pfade einzuprägen, fand jedoch, dass jede Erinnerung sofort wieder verflog, flüchtig wie Sternenlicht. Er wusste nur noch, dass sie mehrere Bäche überquerten, von denen jeder ein wenig melodischer dahinrieselte als sein Vorgänger, und schließlich ein Waldstück betraten, in dem es stiller zu sein schien. Unter diesen dicken, knorrigen Bäumen klang selbst das Lied der Grillen gedämpft. Die Äste bewegten sich, obwohl kein Wind wehte.
    Als sie endlich anhielten, erkannte Simon überrascht, dass sie vor dem hohen Baum mit den Spinnweben standen, den er bei seinem ersten Fluchtversuch gefunden hatte. Durch das Gewirr der seidenen Fäden schimmerten matte Lichter, als trage der riesige Baum einen leuchtenden Mantel.
    »Hier war ich schon einmal«, sagte Simon langsam. Die warme, stille Luft machte ihn zugleich schläfrig und überwach.
    Der Prinz schaute ihn an. Er gab keine Antwort, sondern führte Simon auf die Eiche zu. Jiriki berührte mit der Hand die moosbedeckte Tür, die so tief in der Borke saß, als sei der Baum um sie herumgewachsen.
    »Es ist uns gestattet«, sagte er ruhig. Lautlos schwang die Tür nach innen.
    Hinter der Tür lag etwas, das nicht sein konnte: ein schmaler Gang streckte sich vor ihnen aus, seidenverhangen wie die Außenseite des Eichenhauses. Auch hier brannten winzige Lichter in den verschlungenen Fäden, nicht größer als Glühwürmchen, und erhellten den Gang mit ihrem flimmernden Licht. Simon, der arglos auf einen heiligen Baum geschworen hätte, dass sich hinter der breitkronigen Eiche nichts weiter verbarg als andere Bäume, trat einen Schritt zurück, um noch einmal aus dem Türrahmen zu spähen. Wo sollte der Platz für einen Gang wie diesen herkommen? Führte er vielleicht in die Erde? Aber Jiriki ergriff ihn beim Ellenbogen und schob ihn sanft wieder über die Schwelle. Hinter ihnen schloss sich die Tür.
    Überall waren sie von Lichtern und seidenen Gespinsten umgeben, als schwebten sie durch Sterne und Wolken. Noch immer befand sich Simon in einem Zustand eigenartiger Schläfrigkeit; jede Einzelheit war scharf und klar, und trotzdem konnte er sich keinerlei Vorstellung machen, wie lange ihr Weg durch den glitzernden Gang dauerte. Endlich wurde der Gang breiter und erweiterte sich zu einer Kammer, die nach Zedern und Pflaumenblüten roch und anderen, weniger leicht erkennbaren Dingen. Die winzigen, wechselhaften Lichter waren hier geringer an Zahl und der große Raum voll von langen, flatternden Schatten. Ab und zu knarrten die

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