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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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entfernte achtsam das Pergament, das er mit den Fingerspitzen vor sich ausbreitete, um mit zusammengekniffenen Augen auf die winzigen Schriftzeichen zu starren. Die Botschaft stammte von seinem weisen Freund in Nabban, dessen Hand Tiamak sogar in dieser Vogelschrift erkannte, aber unerklärlicherweise fehlte die Unterschrift.
    Der Text lautete:
    Die Zeit ist da, und du wirst dringend gebraucht. Morgenes kann dich nicht darum bitten, aber ich bitte für ihn. Geh nach Kwanitupul, steig in der Herberge ab, über die wir gesprochen haben, und warte dort auf weitere Nachricht von mir. Brich unverzüglich auf und mach keine Umwege. Vielleicht hängt mehr von dir ab als nur das Leben einiger Menschen.
    Darunter stand die hingekritzelte Zeichnung einer von einem Kreis umgebenen Feder – das Symbol des Bundes der Schriftrolle.
    Tiamak saß da wie vom Donner gerührt und glotzte auf diese Botschaft.
    Er las sie noch zweimal durch und hoffte dabei, der Inhalt würde auf wundersame Weise ein anderer werden; aber die Worte blieben dieselben.
    Geh nach Kwanitupul ! Aber die Ältesten schickten ihn nach Nabban! Es gab keinen anderen in seinem Stamm, der die Sprache der Trockenländer so gut beherrschte, dass er als Gesandter auftreten konnte. Und was sollte er seinen Stammesgenossen sagen – dass irgendein Trockenländer, den sie nicht kannten, ihn aufgefordert hätte, in Kwanitupul auf seine Anweisungen zu warten, und dass das für ihn Grund genug war, die Wünsche seines Volkes nicht mehr zu beachten? Was bedeutete den Wranna schon der Bund der Schriftrolle! Ein Kreis von Gelehrten aus den Trockenländern, die von alten Büchern und noch älteren Ereignissen schwatzten? Das würde sein Volk nie begreifen.
    Doch wie konnte er diesem dringlichen Auftrag nicht folgen?Sein Freund in Nabban hatte sich deutlich genug ausgedrückt und sogar geschrieben, es sei Morgenes’ Wunsch. Ohne Morgenes hätte Tiamak das Jahr auf Perdruin nicht durchgestanden, geschweige denn Zutritt zu dieser großartigen Gemeinschaft gefunden, in die der Doktor ihn eingeführt hatte. Wie konnte er nun dessen Wunsch nicht erfüllen – die einzige Gunst nicht gewähren, um die Morgenes ihn jemals gebeten hatte?
    Die heiße Luft drängte sich durch die Fenster wie ein hungriges wildes Tier. Tiamak faltete den Zettel zusammen und schob ihn in seinen Lederbeutel. Er musste sich um Tintenfleck kümmern. Dann würde er nachdenken. Vielleicht brachte der Anbruch des Abends Kühle. Er würde ja wohl noch einen Tag abwarten können, ganz gleich, wohin er ging. Oder etwa nicht?
    Tiamak wickelte den kleinen Vogelkörper in Ölpalmblätter und umwand ihn mit einem Stück dünner Schnur. Durch das seichte Wasser stakte er zu einer Sandbank hinter dem Haus. Dort legte er das Blätterbündel auf einen Stein und umgab es mit Rinde und kostbaren Streifen aus alten Pergamenten. Nachdem er ein Gebet für Tintenflecks Seele an Sie-die-darauf-wartet-alles-wieder-zu-sich-zu-nehmen gerichtet hatte, setzte er mit Hilfe von Feuerstein und Stahl den winzigen Scheiterhaufen in Flammen.
    Während der Rauch sich aufwärts kräuselte, überlegte Tiamak, dass sich doch einiges zugunsten der alten Bräuche vorbringen ließ. Zumindest boten sie in Zeiten, in denen einem das Herz schwer war und wehtat, eine Beschäftigung. Vorübergehend schaffte er es sogar, die störenden Gedanken an seine Pflicht beiseitezuschieben und stattdessen einen seltsamen Frieden zu empfinden, als er zusah, wie Tintenflecks Rauch davonschwebte und langsam in den fiebergrauen Himmel stieg. Doch schon bald war der Rauch verweht und die Asche über das grüne Wasser verstreut.

    Als Miriamel und ihre beiden Begleiter den Bergpfad verließen und auf der nördlichen Küstenstraße weiterritten, trieb Cadrach seinen Gaul an, bis mehrere Pferdelängen zwischen ihm und Dinivan sowieder Prinzessin lagen. In ihrem Rücken stand die Morgensonne. Die Pferde, die Dinivan mitgebracht hatte, schwenkten im Dahintrotten die Köpfe und atmeten mit weitgeöffneten Nüstern die Gerüche des Morgenwindes ein.
    »Ho, Padreic!«, rief Dinivan, aber der Mönch gab keine Antwort. Seine runden Schultern hüpften auf und ab. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen, als ließe er gedankenvoll den Kopf hängen. »Also gut dann – Cadrach!« , rief der Priester. »Warum reitest du nicht mit uns?«
    Cadrach, trotz seiner Leibesfülle und der kurzen Beine ein gewandter Reiter, zügelte sein Ross. Als die beiden anderen ihn fast eingeholt

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