Der Adler ist entkommen
wissen, sind nur wenige Akten, die sich mit Geheimdienstangelegenheiten befassen, wirklich zugänglich. Einige liegen für fünfundzwanzig Jahre unter Verschluß, andere für fünfzig …«
»Und besonders heikles Material sogar für hundert Jahre«, fügte ich hinzu.
»Und so etwas habe ich hier.« Sie hielt den Schnellhefter hoch. »Eine für hundert Jahre unter Verschluß zu haltende Akte über Dougal Munro, Kurt Steiner, Liam Devlin und andere. Eine wilde Geschichte, glauben Sie mir.«
Sie reichte mir die Akte herüber, und ich legte sie auf meine Knie, ohne sie aufzuschlagen. »Wie um alles in der Welt sind Sie denn an die herangekommen?«
»Ich habe gestern ein paar Akten, die Munro betreffen, durchgesehen. Es war nur ein junger Bibliothekar anwesend, und der nahm seine Pflichten nicht allzu genau. Jedenfalls fand ich die Akte, versiegelt natürlich, zwischen zwei anderen. Man muß im Records Office seine Studien an Ort und Stelle durchführen, aber da die Akte nicht auf dem Ausleihformular aufgeführt war, ließ ich sie in meiner Aktentasche verschwinden.«
»Ein krimineller Verstoß«, informierte ich sie.
»Ich weiß. Ich öffnete die Siegel so behutsam wie möglich und las die Akte. Es ist lediglich ein dreißig Seiten langer Bericht über gewisse Ereignisse - gewisse überraschende Ereignisse.«
»Und dann?«
»Habe ich alles fotokopiert.«
»Mit den Wundern der modernen Technik wird man sehr schnell beweisen können, daß Sie das getan haben.«
»Ich weiß. Aber wie dem auch sei, ich habe die Akte wieder versiegelt und heute morgen zurückgebracht.«
»Und wie haben Sie das bewerkstelligt?« fragte ich.
»Ich forderte die gleichen Akten an wie gestern. Brachte dann die Munro-Akte zurück zur Ausgabe und erklärte dem Bibliothekar, daß hier offensichtlich ein Irrtum vorliege.«
»Hat er Ihnen geglaubt?«
»Ich denke schon. Ich meine, warum sollte er nicht?«
»War es derselbe Bibliothekar?«
»Nein - ein älterer.«
Ich saß da, ließ mir alles durch den Kopf gehen und fühlte mich ziemlich unwohl bei der Sache. Schließlich fragte ich sie: »Warum brühen Sie nicht frischen Tee auf, während ich das hier kurz überfliege?«
»Gerne.«
Sie nahm das Tablett und ging hinaus. Ich zögerte, dann schlug ich den Hefter auf und begann zu lesen.
Ich war mir nicht einmal bewußt, daß sie zurückgekommen war, so gepackt war ich von den Ereignissen, die in der Akte geschildert wurden. Als ich meine Lektüre beendet hatte, klappte ich den Hefter zu und blickte auf. Sie saß mir wieder gegenüber und beobachtete mich mit einem seltsam gespannten Ausdruck im Gesicht.
»Ich kann die Verfügung verstehen, dies für hundert Jahre unter Verschluß zu halten. Die darin verwickelten Mächte dürften wenig Interesse daran haben, daß dies an die Öffentlichkeit dringt. Nicht einmal heute.«
»Das habe ich mir auch gedacht.«
»Kann ich das für einige Zeit hierbehalten?«
Sie zögerte, dann nickte sie. »Bis morgen, wenn Sie wollen. Ich fliege mit der Nachtmaschine der PanAm zurück in die Staaten.«
»Ein plötzlicher Entschluß?«
Sie ging hinaus, um ihren Regenmantel zu holen. »Stimmt. Ich denke, ich möchte lieber wieder in meiner Heimat sein.«
»Angst?« fragte ich.
»Wahrscheinlich bin ich nur überempfindlich. Ja, ich habe Angst. Ich hole die Akte morgen wieder ab. Sagen wir so gegen drei Uhr, auf dem Weg nach Heathrow. Ist Ihnen das recht?«
»Sicher.« Ich legte den Hefter auf den Rauchtisch.
Die Uhr auf dem Kaminsims schlug halb acht, als ich die junge Frau zur Tür brachte. Ich öffnete, und wir blieben noch einen Augenblick lang stehen und schauten in den Regen hinaus, der wolkenbruchartig vom Himmel fiel.
»Natürlich gibt es auch jemanden, der die Richtigkeit der Aufzeichnungen bestätigen kann«, sagte sie. »Liam Devlin. Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, daß er immer noch aktiv sei und für die IRA in Irland Operationen durchführt.«
»So lauteten meine letzten Informationen«, antwortete ich.
»Er dürfte mittlerweile siebenundsechzig sein, aber noch immer mit vollem Elan dabei.«
»Also dann.« Sie lächelte wieder. »Wir sehen uns morgen nachmittag.«
Eilig lief sie die Stufen hinunter und ging hinaus in den Regen. Schließlich verschwand sie am Ende der Straße im Dunst der Abenddämmerung.
Ich saß am Fenster und las den
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