Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
Vom Netzwerk:
Wartete.
    Endlich meldete er sich. »Wir müssen alles abblasen!«, rief sie.
    Â»Wer ist da?«
    Â»Emma! Julian, wir dürften die Klageschrift nicht abschicken! Das ist falsch, ein Fehler, eine Sünde –«
    Â»Zu spät«, sagte der Anwalt. »Ich habe den Schriftsatz gestern Morgen noch fertiggestellt und vorab schon mal per E-Mail über die Homepage des Papstes zugestellt.«
    Â»Der Papst hat eine Homepage?«
    Â»Sogar mit drei Servern, die nach den Erzengeln Gabriel, Michael und Raphael benannt sind«, bestätigte Kant. »Zur Sicherheit, damit man ihn nicht aus Versehen für den böswilligen Kommentar eines Trolls hält, habe ich den Schriftsatz natürlich zusätzlich per Over-Night-Kurier zugestellt, weil ja jetzt drei Tage lang keine Post befördert wird. Inzwischen müsste auch der bereits im Vatikan eingetroffen sein.«
    Â»Gestern Morgen?! Aber wir haben sie doch heute Nacht erst entworfen!«
    Â»Heute Nacht?«, fragte Julian. »Das war vorgestern – Sonntagabend!«
    Â»Ja, heute ist Montag, und mir brummt noch immer der Schädel von dem ganzen Zeug, das wir getrunken haben.«
    Â»Heute ist Dienstag«, korrigierte der Anwalt sie. »Und außerdem Heiligabend, falls Sie das vergessen haben sollten.«
    Â»Heiligabend?«, rief Emma.

    D er Mann stand allein neben dem Stapel der beiseitegeräumten Gerüstteile und sah hinauf zu der halb restaurierten Dreifaltigkeit in der von schräg einfallenden Sonnenstrahlen erhellten Kuppel. Er trug hellblaue Jeans, die sich trotz ein paar Rissen wie eine zweite Haut anschmiegten, und schmutzige schwarze Sneakers, an den Seiten bedruckt mit roten Streifen und kleinen weißen Flügeln. Auch seine Fliegerjacke aus schwarzem Leder saß wie angegossen. Schultern und Arme waren mit Wasserperlen von geschmolzenem Schnee bedeckt, obwohl es draußen nicht schneite. Trotz der Winterkälte schien er unter der Jacke nur ein kirschrotes T-Shirt anzuhaben. Sein Haar – glänzend braun wie eine polierte Kastanie und etwas zu lang – sah aus, als wäre er vor Kurzem in einen Sturm geraten und hätte es nur eben mit den Fingern gekämmt. Die Zähne bearbeiteten einen Kaugummi, der in kurzen Abständen zwischen seinen Lippen sichtbar wurde.
    Â»Sind Sie von der Gerüstbaufirma?«, fragte Emma.
    Â»Nein«, antwortete der Mann.
    Â»Von der Versicherung?«
    Â»Auch nicht.«
    Â»Wie sind Sie hier reingekommen?«
    Â»Durch die Tür.«
    Â»Die Tür ist abgeschlossen«, sagte Emma. Die Stimme des Mannes war angenehm warm. Dieses Gefühl der Wärme war es auch gewesen, das sie aus der Sakristei ins Kirchenschiff gelockt hatte. Dort hatte sie den Mann unter der Kuppel entdeckt und war, plötzlich frei von Übelkeit und Kopfschmerzen, schnurstracks zu ihm gegangen.
    Â»Ich bin Emma Brahms. Und Sie sind?«
    Â»Ich bin dein Schutzengel.«
    Â» Wer sind Sie?«
    Â»Dein Schutzengel.«
    Â»Ach, mein Schutzengel! Und wie heißen Sie?«
    Â»Murat Honigfels«, sagte er mit einem Lächeln, das aufblitzte und gleich wieder erlosch, als hätte er es nur kurz ausprobieren wollen. Dieses Lächeln traf Emma wie ein Stromschlag, der ihr Herz aufleuchten ließ. Es lag daran, dass es so verlegen wirkte, fast schuldbewusst. Als stünde es dem Mann nicht zu, zu lächeln. Oder als ginge er bewusst sparsam damit um, weil er wusste, was sein Lächeln bewirkte. Und da war noch etwas, das Emma nicht sofort einzuordnen wusste. Eine Art Trotz. Seine Augen waren von einem derart hellen Türkisblau, dass sie im ers ten Moment dachte, er wäre vielleicht blind. Weiche, lange Wimpern dienten offenbar vor allem dazu, das blaue Strah len etwas zu mildern.
    Emma schüttelte den Kopf. »Mein Schutzengel heißt also Murat Honigfels. Sie sind nicht zufällig auch noch Türke?«
    Â»Engel haben keine Nationalität. Wir haben norma lerweise auch keine Körper. Dieser wurde mir zugeteilt, mitsamt dem Namen. Sie können mich nennen, wie Sie wollen.«
    Emma warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob der Kaplan mitbekam, was in seiner Kirche geschah, aber offenbar war er ihr nicht gefolgt. »Und welchem Um stand verdanke ich die Ehre Ihres Besuches, Herr Honigfels?« Sie meinte, dass ihre Stimme vor Sarkasmus triefen müsste, aber das tat sie nicht. Stattdessen klopfte ihr Herz auf einmal viel zu schnell.
    Â»Du

Weitere Kostenlose Bücher