Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte
kannst mich Murat nennen.«
»Ich bleibe lieber bei Herr Honigfels.«
Der Engel â nein, der Mann! â zuckte mit den Schultern. »Ist es hier passiert?«
»Was?«
»Der Unfall mit dem Gerüst.«
»Sie wissen, dass ich hier einen Unfall hatte und haben es nicht verhindert, obwohl Sie mein Schutzengel sind?«
»Deswegen bin ich ja hier.« Wieder dieses Lächeln, halb Entschuldigung, halb trotziger Junge. »Ich soll dich um Verzeihung bitten.«
»In wessen Auftrag?«
Der Mann blickte kurz nach oben zu der Dreifaltigkeit. »Und ich soll fragen, ob du nicht vielleicht wegen der Klage mit dir reden lässt.«
»Welche Klage?« Er kann es nicht wissen, dachte sie. Woher soll er es wissen? Und dann begriff sie: Es handelte sich um einen Scherz. Julian Kant, der verdammte Mistkerl, hatte sich einen Spaà mit ihr erlaubt, gestern Nacht im Stripclub und eben am Telefon.
Sie holte ihr Handy heraus und rief ihn sofort an. Er meldete sich nach dem dritten Freizeichen. »Kanzlei Kant und Partner!«
»Sehr witzig«, sagte Emma.
»Klingt das zu prätentiös?«, fragte er. »Ich dachte, falls der Vatikan anruft oder womöglich eine von, äh, Gott selbst beauftragte Sozietät â¦Â«
»Ich meine den Engel.«
»Welchen Engel?«
»Meinen angeblichen Schutzengel.«
»Was ist mit dem?«
»Er steht hier vor mir und fragt, ob wir nicht vielleicht bereit wären, die Klage fallen zu lassen«, erklärte Emma, während sie den Mann vor sich fixierte, der ihren Blick gelassen erwiderte. »Wie ich schon sagte: sehr witzig. Aber dann doch nicht so witzig, wie Sie sich gedacht haben.«
Am anderen Ende der Verbindung herrschte Stille. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen«, sagte Julian schlieÃlich.
»Wie lange wollen Sie das denn noch durchziehen?« Emma merkte plötzlich, wie kalt es wirklich in der Kirche war. »Ich habe zwar löffelweise Pech, aber ich bin nicht blöd! Ich besitze einen Doktor in Kunstgeschichte, und zwar selbst erworben! Geben Sie einfach zu, dass Sie einen Ihrer Kumpels geschickt haben â«
»Wie sieht er aus?«, unterbrach Julian sie.
Emma wandte sich ab und sprach leiser, damit Honigfels sie nicht hören konnte. »Sie wissen doch, wie er aussieht! GroÃ, schlank, blaue Augen, braune Locken, ein Lächeln wie Erdbeeren mit Schlagsahne, Türke oder wenigstens Halbtürke â¦Â«
»Ich meine, hat er Flügel, einen Heiligenschein oder â«
»Julian!«
»Woher weiÃt du dann, dass er dein Schutzengel ist?«
»Jetzt hören Sie schon auf!«, sagte Emma unsicher. Hin ter ihr erklang ein leises FüÃescharren.
Als sie sich umdrehte, sagte Honigfels: »Falls das dein Anwalt ist â von dem komme ich wirklich nicht.«
»Woher wissen Sie, dass ich einen Anwalt habe?«
»Er hat uns die Klage zustellen lassen, wegen der die mich runtergeschickt haben.«
»Kann ich mit ihm sprechen?«, fragte Julian.
Emma seufzte und hielt dem Mann das Handy hin. »Er will mit Ihnen reden.« Honigfels nahm das Gerät und tat so, als wüsste er nicht, wie man es benutzte. Er hielt es sich ans Ohr, das untere Ende oben, dabei sagte er: »Hallo? Hallo?«
Emma rollte mit den Augen. »Andersrum.« Er gehorchte und sagte noch einmal: »Hallo.« Er lauschte einen Moment, dann nickte er. »Ja.« Er hörte zu. »Genau, die beklagte Partei.« Weiteres Zuhören. »Murat. Murat Honigfels.« Noch mal Zuhören. »Moslem? Nein. Im Himmel spielt Religion keine Rolle.« Pause. »Wieso nicht? Warum soll ein Engel nicht so heiÃen?« Wieder Pause. »Ist das etwa besser: Michael, Gabriel, Raphael, Uriel? Kann eben nicht jeder ein Erzengel sein. Finden Sie nicht, dass es etwas widersprüchlich ist, einerseits einen Engel zu verklagen, andererseits aber seine Existenz infrage zu stellen, wenn er schlieÃlich leibhaftig auftaucht?«
Emma schüttelte den Kopf. »Das ist doch lächerlich.«
»Wenn Sie mich fragen, ich finde, ich habe mir nichts vorzuwerfen«, fuhr der Engel â der Mann, Herrgott! â fort, als wäre sie gar nicht da. »Gut, ich war vielleicht etwas unachtsam, aber nicht faul oder gleichgültig. Kollegen von mir haben sich da ganz andere Sachen geleistet, und die sind nicht gleich verklagt worden. Wissen Sie, wie viele Klienten jedem
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