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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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hatte gefragt: »Kann ich so lange hierbleiben?«
    Sie hatte mit dem Küster gesprochen, der zögernd sein Einverständnis gegeben hatte. Dann war sie losmarschiert, und jetzt versuchte sie, sich in den Monsignore hinein zuversetzen. Was würde er denken? Das arme Ding, jetzt hat es völlig den Verstand verloren – das würde er den ken. Und dann würde er sagen, dass er für sie betete. Wie immer.
    Sie kannten sich jetzt schon fast sieben Jahre, trotzdem wusste sie wenig über ihn. Er war unnahbar und gütig zugleich, gebildet und tiefgläubig. Er liebte das Schöne in der Kunst – Musik, Malerei, Literatur –, schämte sich aber nicht seiner einfachen Wurzeln. Denn die hatte er: Vitus Wenzel kam aus der Vorstadt, die Kirche war für ihn das gewesen, was für andere der Boxring oder die Castingshow darstellte – eine Chance zum Aufstieg. Und er hatte sie genutzt.
    Wenn jemand einen Betrüger erkennen konnte, dann er.
    Aber er wusste auch, wie man eine Chance nutzte. Vor allem, wenn es vielleicht die letzte war. Denn zweifellos litt er darunter, dass er alt geworden war, ohne je den Einfluss und die Macht erlangt zu haben, die etwa die Kurie einem Mann in seinen Jahren verlieh. Er hatte es nie bis nach Rom geschafft.
    Ihr jedenfalls hatte er nach Kräften geholfen, wann immer sich die Gelegenheit dazu geboten hatte. Manchmal hatte er sie auch zum Tee ins Erzbischhöfliche Ordinariat eingeladen, aber nie mehr. Vitus Wenzel schätzte die Distanz. Vielleicht war er deswegen nicht weiter als bis zum Monsignore aufgestiegen.
    Ich würde ihm so gern eine Freude bereiten, dachte Emma.
    Alles hing davon ab, ob der Mann, der behauptete, ihr Schutzengel zu sein, zur verabredeten Zeit im Amor Club auftauchen würde.

    Â» I ch bin ein echter Engel«, versicherte Murat Honigfels, »auch wenn ich nicht so aussehe wie auf den ganzen alten Gemälden. Das liegt daran, dass mir nahegelegt wurde, bis zur Klärung der Vorwürfe auf alles Engelhafte zu verzichten. Man hat meine Immunität aufgehoben. Ich kann nicht mehr fliegen, mich nicht mehr unsichtbar machen, nicht mehr durch Wände gehen. Ich muss essen und trinken und sogar auf die Toilette. Und ich schwitze. Ich stinke, wenn ich mich nicht wasche.«
    Er sah erschöpft aus und trotzdem auf ungezähmte, noch nicht vollendete Weise hübsch. Emma dachte, dass die Frauen ihm nachlaufen würden, wenn er ein Mann wäre, kein Engel. Und wenn er kein Engel wäre, würde er die Herzen nehmen und brechen, einfach weil sie da waren, und weil er diese Art Mann war.
    Genau wie Mark, der Maler.
    Â»Wollen Sie jetzt etwas essen?«, fragte Emma.
    Â»Nein, ich bin nicht hungrig.«
    Â»Falls Sie kein Geld haben«, sagte Julian, »ich meine, weil Sie vielleicht eben erst auf der Erde gelandet sind und noch keine Gelegenheit hatten, zum Bankauto maten –«
    Â»Geld?«, fragte Murat. »Man hat mir gesagt, das hier sei so gut wie Geld.« Er holte eine Kreditkarte aus der Jackentasche. Istituto per le Opere di Religione war darauf geprägt, Institut für religiöse Werke.
    Julian warf Emma einen kurzen Blick zu und murmelte: »Die Vatikanbank.« Er nahm die Kreditkarte genauer in Augenschein. »Die ist aber nur noch bis zum 31. Dezember gültig.«
    Â»Länger brauche ich sie nicht, haben die von der Buchhaltung gemeint«, erklärte Murat mit einem Schulterzucken. »Wenn ich die Sache nicht bis Silvester aus der Welt geschafft habe, kann ich mit der Karte sowieso nichts mehr anfangen …«
    Â»Was heißt das?«, fragte Emma.
    Â»Dann gibt es keine Vatikanbank mehr«, sagte Murat. »Oder, was das angeht, auch keinen Vatikan. Vielleicht nicht mal mehr den Himmel.«
    Â»So ernst nimmt Ihre Rechtsabteilung unsere Klage?«, fragte Julian erfreut.
    Â»Ãœberraschend ernst«, bestätigte Murat. »Sie hätten deren Gesichter sehen sollen, als die Personalabteilung mich zu sich zitiert hat. Ein PR-Desaster, und ich war schuld! Der Allmächtige selbst war natürlich nicht dabei, aber sein Sohn – Mann, war der aufgebracht!«
    Â»Jesus war aufgebracht?«, fragte Emma.
    Â»Quatsch, nicht Jesus. Der Allmächtige, so nennen wir den Chef der Personalabteilung. Und sein Sohn ist –«
    Ein Gitarrenakkord hämmerte aus den Lautsprecherboxen zu beiden Seiten der von roten und blauen Neonleisten gerahmten Bühne, dann kam eine

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