Der Afghane
Do ñ a Marta umzutaufen. Aber der weiße Strich war so plump geraten, dass er niemanden länger als ein paar Sekunden täuschen konnte.
In Charleston, South Carolina, waren zwei Kutter der Küstenwache stationiert; beide gehörten zur Hamilton-Klasse, und beide waren auf See: die 717 USCG Mellon und ihr Schwesterschiff, die Morgenthau. Die Mellon war näher und nahm sofort und mit voller Kraft Kurs auf den gekaperten Flüchtling. Ihr Navigator errechnete die voraussichtliche Frist bis zum Rendezvous auf neunzig Minuten. Das wäre kurz vor Sonnenuntergang.
Die Bezeichnung »Kutter« wird der Mellon kaum gerecht. Ihre Performance entspricht mit 150 Metern Länge und einem Eigengewicht von 3300 Tonnen der eines kleinen Zerstörers. Während sie durch die Aprildünung des Atlantiks pflügte, machte die Mannschaft sie eilig gefechtsklar – für alle Fälle. Der vermisste Tanker war als »wahrscheinlich feindselig« eingestuft worden.
Mit der Bewaffnung der Mellon ist nicht zu spaßen. Das leichteste ihrer drei Systeme ist die sechsläufige 20-mm-Gatling-Schiffsflak, die einen solchen Blizzard von Geschossen abfeuert, dass man sie als Raketenabwehrgeschütz benutzen kann. Theoretisch würde sogar eine anfliegende Rakete von einem solchen Kugelhagel in Fetzen gerissen. Aber die Phalanx-Gun braucht nicht gegen Flugkörper eingesetzt zu werden, denn auch wenn sie praktisch alles pulverisieren kann, benötigt sie doch kurze Distanzen.
Das zweite Waffensystem sind zwei Bushmaster-25-mm-Kanonen, nicht so schnell wie die Gatling, aber schwerer, und einem kleinen Tanker können sie den Tag komplett verderben. Das dritte ist die an Deck montierte Oto-Melara-76-mm-Schnellfeuerkanone.
Als die Do ñ a Maria als Punkt am Horizont auftauchte, waren alle drei Systeme bemannt und gefechtsklar. Die Männer hatten sie bisher immer nur bei Übungen bedient, und sie wären mehr als heilig gewesen, wenn es sie nicht insgeheim in den Fingern gejuckt hätte, sie einmal unter realen Gefechtsbedingungen zu benutzen.
Der Orion über ihnen filmte alles und sendete die Bilder in Realzeit nach Tampa; unterdessen kurvte die Mellon achtern um den Tanker herum, ging mit etwa zweihundert Metern Abstand auf Parallelkurs und verringerte ihre Fahrt. Dann rief sie die Doña Maria mit dem Megafon an.
»Unidentifizierter Tanker, hier spricht die Mellon von der Küstenwache der Vereinigten Staaten. Drehen Sie bei. Ich wiederhole, drehen Sie bei. Wir kommen an Bord.«
Mit einem starken Fernglas war der Mann am Ruder zu sehen; zwei weitere Gestalten flankierten ihn. Der Tanker antwortete nicht und verringerte auch nicht seine Fahrt. Die Aufforderung wurde wiederholt.
Nach der dritten Aufforderung gab der Kapitän Befehl, eine Granate vor den Bug des Tankers zu feuern. Als die Fontäne über den Bug der Doña Maria sprühte und die Persennings durchnässte, mit denen jemand versucht hatte, das Gewirr von Rohren und Schläuchen zu verbergen, an dem das Schiff als Tanker zu erkennen war, mussten die Leute auf der Brücke die Botschaft verstanden haben. Aber die Doña Maria fuhr mit unverminderter Fahrt weiter.
Dann kamen zwei Gestalten aus der Luke am Achterkastell hinter der Brücke. Der eine hatte eine M60-MP umgehängt. Es war eine leere Geste, doch sie besiegelte das Schicksal des Tankers. Die nordafrikanischen Züge des Mannes waren in der untergehenden Sonne deutlich zu erkennen. Er gab einen kurzen Feuerstoß ab, der über die Mellon hinwegging, dann traf ihn eine Kugel aus einem der vier M16-Sturmgewehre, die an Deck der Mellon auf ihn gerichtet waren, mitten in die Brust.
Das war das Ende der Verhandlungen. Als der Algerier rückwärts kippte und die stählerne Luke, aus der er gekommen war, zuschlug, bat der Kapitän der Mellon um die Erlaubnis, den widerspenstigen Frachter zu versenken. Aber er bekam sie nicht. Die Antwort der Basis war unmissverständlich.
»Drehen Sie ab. Entfernen Sie sich so schnell wie möglich. Das Schiff ist eine schwimmende Bombe. Gehen Sie mit einer Meile Abstand in Position.«
Nicht ohne Bedauern drehte die Mellon ab, rauschte mit voller Kraft davon und überließ den Tanker seinem Schicksal. Die beiden F-16-Falcons waren bereits in der Luft und würden in drei Minuten hier sein.
Im Luftwaffenstützpunkt Pensacola auf der Halbinsel Florida ist eine Staffel stationiert, die rund um die Uhr innerhalb von fünf Minuten einsatzbereit ist. Hauptsächlich wird sie gegen Rauschgiftschmuggler eingesetzt, die auf dem Luft-
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