Der Afghane
Meilen voraus, da, wo das größte Passagierschiff der Welt in fünfunddreißig Minuten gewesen wäre, barst ein gewaltiger Flammenvulkan aus dem Meer herauf. Die drei anderen Männer der Nachtwache schrien auf. »Was zum Teufel war das?«
»Monterey an Queen Mary 2. Gehen Sie auf Backbordkurs. Wir erkunden die Sache.«
Gundlach sah, wie der US-Kreuzer zu seiner Rechten in voller Fahrt auf die Flammen zusteuerte, die jetzt auf dem Wasser zu flackern und zu ersterben begannen. Es war klar, dass die Countess of Richmond einen schrecklichen Unfall erlitten hatte. Seine Aufgabe war es, Abstand zu halten; wenn Männer im Wasser waren, würde die Monterey sie finden. Trotzdem war es ratsam, den Kapitän auf die Brücke zu rufen. Als der Kommandant des Schiffs auf der Brücke erschien, berichtete sein Erster Offizier, was er gesehen hatte. Sie waren inzwischen achtzehn Meilen weit von der Stelle entfernt und vergrößerten den Abstand schnell.
Die USS Leyte Gulf blieb backbords bei ihnen. Die Monterey steuerte geradewegs auf die Brandstelle zu. Und der Kapitän stimmte zu: Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es Überlebende gäbe, sollte die Monterey nach ihnen suchen.
Von ihrer sicheren Brücke aus sahen die beiden Männer zu, wie das Feuer flackernd verlosch. Die letzten Flammen hier und da dürften die Reste des Treibstoffs aus dem verschwundenen Schiff gewesen sein. Die hypervolatile Ladung war verbrannt, bevor die Monterey den Ort der Katastrophe erreichte.
Der Kapitän der Queen Mary 2 wies die Computer an, den Kurs nach Southampton wieder aufzunehmen.
EPILOG
Es gab eine Untersuchung. Natürlich. Sie dauerte zwei Jahre. Nur im Fernsehen sind diese Dinge in ein paar Stunden erledigt.
Ein Team übernahm die echte Java Star: von dem Augenblick, da sie auf Kiel gelegt wurde, bis sie Brunei mit flüssigem Petroleumöl für Freemantle, Westaustralien, verließ.
Unabhängige Zeugen, die keinen Grund zum Lügen hatten, bestätigten, dass Kapitän Herrmann sein Schiff befehligt hatte und dass alles in Ordnung war. Kurz danach hatten zwei andere Kapitäne sie gesehen, als sie um die nordöstliche Spitze von Borneo fuhr. Sie hatten bemerkt, dass sie gerade wegen ihrer Ladung beträchtlichen Abstand hielt, und hatten ihren Namen ins Logbuch eingetragen.
Die einzige existierende Aufzeichnung ihres letzten Notrufs wurde einem norwegischen Psychiater vorgespielt, der bestätigte, dass die Stimme einem norwegischen Landsmann gehörte, der gut Englisch sprach, aber anscheinend unter Druck stand.
Der Kapitän des Kühlschiffs, der ihre angegebene Position aufgenommen und darauf Kurs genommen hatte, wurde ausfindig gemacht und befragt. Er berichtete noch einmal, was er gehört und gesehen hatte. Aber Hochsee-Brandexperten vermuteten, wenn das Feuer im Maschinenraum der Java Star so verheerend gewesen wäre, dass Kapitän Herrmann sie nicht mehr retten konnte, müsste die Ladung sich irgendwann entzündet haben. In dem Fall aber hätte es keine Rettungsflöße mit Textilzeltdächern an der Unglücksstelle mehr geben können.
Philippinische Sonderkommandos, unterstützt von US-Kampfhubschraubern, fielen auf der Halbinsel Zamboanga ein – vorgeblich, um Abu-Sayyaf-Stützpunkte auszuheben. Nach einer ausgedehnten Fahndung brachten sie zwei im Dschungel lebende Spurenleser zurück, die gelegentlich für die Terroristen arbeiteten, aber keine Lust hatten, sich ihretwegen einem Erschießungskommando auszuliefern. Sie berichteten, dass sie in einem schmalen Flusslauf im Herzen des Dschungels einen kleinen Tanker gesehen hätten, auf dem Männer mit Schweißbrennern gearbeitet hätten.
Das Java-Star- Team reichte seinen Bericht innerhalb eines Jahres ein. Darin stand, die Java Star sei nicht wegen eines Brandes an Bord gesunken, sondern unversehrt gekapert worden. Die Entführer hätten sich große Mühe gegeben, die seefahrende Welt davon zu überzeugen, dass sie nicht mehr existierte. Dass die Besatzung ums Leben gekommen war, nahm man schon seit langem an, aber dazu fehlte noch die Bestätigung.
Auch hier galt, dass alle Beteiligten bei der Untersuchung nur so viel wussten, wie sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe zu wissen brauchten. Man sagte ihnen, es gehe darum, einen Versicherungsfall aufzuklären, und das glaubten sie auch.
Ein anderes Team verfolgte die Geschicke der echten Countess of Richmond. Die Untersuchung führte von Alexander Siebarts Büro in Crutched Friars in London nach Liverpool, wo die Besatzung und
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