Der Afghane
haben. Aber für gläubige Christen ist es die Heilige Schrift, an der sie nicht zweifeln.«
»Okay, ich entschuldige mich. Al-Isra ist also die Begegnung mit dem Erzengel?«
»Keineswegs«, sagte Jolley. »Al-Isra ist die Reise an sich. Eine magische Reise. Eine göttliche Reise, unternommen auf Anweisung Allahs selbst.«
»Man hat sie auch als Reise durch die Dunkelheit zu großer Erleuchtung bezeichnet«, warf Dr. Schramme ein.
Er zitierte aus einem alten Kommentar. Die anderen drei kannten ihn gut und nickten.
»Und was würde ein moderner Muslim und ein führendes al-Qaida-Mitglied damit meinen?«
Es war der erste Hinweis auf die Herkunft der Dokumente, den die Akademiker bekamen.
»Waren diese Texte schwer bewacht?«
»Zwei Männer sind gestorben, bevor sie uns in die Hände fielen.«
»Ah. Ja. Verständlich.« Dr. Jolley betrachtete mit großer Aufmerksamkeit seine Pfeife. »Ich fürchte, es kann nichts anderes sein als ein Hinweis auf irgendein Projekt, eine Operation. Und zwar auf eine ziemlich bedeutende.«
»Eine große Sache?«, fragte der Mann vom Heimatschutz.
»Gentlemen, fromme Muslime, ganz zu schweigen von fanatischen Muslimen, reden nicht leichtfertig über al-Isra. Für sie war es etwas, das die Welt verändert hat. Wenn sie einem Unternehmen den Codenamen al-Isra geben, haben sie etwas Großes vor.«
»Aber nichts weist darauf hin, worum es sich handeln könnte?«
Dr. Jolley schaute in die Runde. Seine drei Kollegen zuckten die Achseln.
»Nein. Beide Autoren rufen den Segen Allahs auf ihr Projekt herab, doch das ist alles. Ich glaube, ich kann in unser aller Namen sagen, dass Sie herausfinden sollten, was dieses Projekt ist. Was immer dahinterstecken mag – eine schlichte Rucksackbombe, einen verwüsteten Nightclub oder einen zerstörten Linienbus würden sie niemals mit ›al-Isra‹ bezeichnen.«
Niemand hatte sich Notizen gemacht. Es war nicht nötig. Jedes Wort war aufgezeichnet worden. In der Branche war dieses Gebäude schließlich unter dem Namen »Puzzle-Palast« bekannt.
Die beiden Nachrichtendienstoffiziere würden innerhalb einer Stunde das Transkript der Unterredung in Händen halten und noch in der Nacht ihren gemeinsamen Bericht verfassen. Noch vor dem Morgengrauen würde dieser Bericht das Gebäude verlassen; versiegelt und von einem bewaffneten Kurier würde er an einen höheren Ort gebracht werden. An einen sehr hohen Ort, den höchsten, den es in den USA gibt: ins Weiße Haus.
Terry Martin fuhr mit Ben Jolley in einer Limousine zurück nach Washington. Der Wagen war größer als der, mit dem er gekommen war; zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil war eine Glastrennwand. Durch die Scheibe sahen sie zwei Hinterköpfe: den Fahrer und den jungen Offizier, der sie begleitete.
Der bärbeißige alte Amerikaner spielte gedankenvoll mit der Pfeife in seiner Jackentasche und starrte hinaus in die vorüberziehende Landschaft, ein Meer von goldenem und braunem Herbstlaub. Der jüngere Brite schaute in die andere Richtung und hing ebenfalls seinen Gedanken nach.
In seinem ganzen Leben hatte er eigentlich nur vier Menschen geliebt, und drei davon hatte er in den vergangenen zehn Monaten verloren. Anfang des Jahres waren seine Eltern, die ihre beiden Söhne erst bekommen hatten, als sie schon in den Dreißigern waren, mit über siebzig Jahren beinahe gleichzeitig gestorben, sein Vater an Prostatakrebs und seine Mutter kurz darauf an gebrochenem Herzen: Sie hatte nicht mehr weiterleben wollen. Sie schrieb jedem ihrer beiden Söhne einen bewegenden Brief, legte sich in ein heißes Bad und nahm ein Röhrchen Schlaftabletten. So schlief sie ein und ging, um es mit ihren eigenen Worten zu sagen, »zu Daddy«.
Terry Martin war am Boden zerstört, aber er überlebte durch die Kraft zweier Männer, der beiden anderen Menschen, die er mehr liebte als sich selbst. Der eine war sein Partner, der große, gut aussehende Börsenmakler, mit dem er seit vierzehn Jahren zusammenlebte, bis in einer wilden Nacht im März dieser betrunkene Autofahrer gekommen war, in irrsinnigem Tempo – der knirschende Zusammenprall von Stahl und menschlichem Körper, der Leichnam auf einem Tisch im Leichenschauhaus, die furchtbare Beerdigung, Gordons Eltern mit ihrer steifen Missbilligung von Terrys unverhohlenen Tränen.
Er hatte ernsthaft daran gedacht, seinem eigenen, nur noch jammervollen Leben ein Ende zu machen. Aber sein älterer Bruder Mike schien seine Gedanken zu spüren. Er zog für
Weitere Kostenlose Bücher