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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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eine Woche zu ihm und redete mit ihm, bis die Krise überwunden war.
    Die Heldenverehrung für seinen Bruder reichte zurück bis in ihre Kinderzeit im Irak und die Jahre auf der britischen Privatschule von Haileybury am Rande des Marktstädtchens Hertford.
    Mike war immer all das gewesen, was Terry nicht war. Dunkel, nicht blond. Schlank, nicht pummelig. Hart, nicht weich. Schnell, nicht langsam. Tapfer, nicht ängstlich. Während Terry jetzt in der Limousine durch Maryland glitt, wanderten seine Gedanken zurück zu diesem letzten Rugby-Match gegen Tonbridge, mit dem Mike seine fünf Jahre in Haileybury beendet hatte.
    Als die beiden Mannschaften vom Platz kamen, stand Terry an dem mit Seilen abgesperrten Durchgang und strahlte. Mike streckte die Hand aus und zerzauste ihm das Haar.
    »Na«, sagte er, »wir haben's geschafft, Brüderchen.«
    Terry war vor Angst fast vergangen, als der Augenblick kam, seinem Bruder zu gestehen, ihm sei jetzt klar, dass er schwul sei. Mike, inzwischen Offizier bei den Fallschirmjägern und eben aus dem Falklandkrieg zurück, dachte kurz darüber nach, lächelte dann sein spöttisches Lächeln und antwortete mit Joe E. Browns letztem Satz in Manche mögen's heiß.
    »Tja. Nobody is perfect.«
    Von diesem Augenblick an kannte Terrys Heldenverehrung für seinen Bruder keine Grenzen mehr.
     
    In Maryland ging die Sonne unter. In derselben Zeitzone sank sie auch über Kuba, und auf der südwestlichen Halbinsel namens Guantanamo breitete ein Mann seinen Gebetsteppich aus, wandte sich nach Osten, kniete nieder und fing an zu beten. Vor der Zelle schaute ein GI ungerührt zu. Er hatte das alles schon oft gesehen, aber er hatte den strengen Befehl, in seiner Wachsamkeit niemals nachzulassen.
    Der betende Mann war seit fast fünf Jahren in diesem Gefängnis – früher Camp X-Ray, jetzt Camp Delta und in den Medien kurz »Gitmo« für Guantanamo Bay genannt. Die ersten Brutalitäten und Entbehrungen hatte er lautlos, klaglos überstanden. Er hatte die vielfältigen Erniedrigungen seines Körpers und seiner Religion wortlos ertragen, doch wenn er seine Folterer anstarrte, konnten sogar sie den unversöhnlichen Hass in den schwarzen Augen über dem schwarzen Bart lesen, und dann schlugen sie ihn desto mehr. Aber brechen konnten sie ihn nicht.
    In den Tagen von Zuckerbrot und Peitsche, als die Insassen ermutigt wurden, ihre Kameraden um kleiner Vergünstigungen willen zu denunzieren, war er stumm geblieben und hatte keine bessere Behandlung erwirkt. Andere hatten es gesehen und ihn angeschwärzt, um sich Zugeständnisse zu verschaffen, da ihre Beschuldigungen jedoch aus der Luft gegriffen waren, hatte er sie weder geleugnet noch bestätigt.
    In den Akten, die die Verhörspezialisten zum Nachweis ihrer Erkenntnisse führten, fand sich vieles über den Mann, der an diesem Abend betete, aber fast nichts davon stammte von ihm selbst. Höflich hatte er die Fragen beantwortet, die ihm Jahre zuvor von einem dieser Spezialisten gestellt worden waren, der einen humanen Ansatz verfolgt hatte. Nur deshalb existierte überhaupt eine brauchbare Akte über seine Vergangenheit.
    Das Problem war allerdings immer noch das gleiche. Keiner von denen, die ihn verhört hatten, verstanden auch nur ein einziges Wort der Muttersprache des Mannes; sie hatten sich immer auf die Dolmetscher verlassen, die sie überallhin begleiteten. Doch die Dolmetscher verfolgten ebenfalls eigene Interessen. Auch sie erhielten Vergünstigungen, wenn sie interessante Enthüllungen lieferten, und so hatten sie einen guten Grund, welche zu erfinden.
    Nach vier Jahren war der betende Mann als »unkooperativ« eingestuft worden, was nur bedeutete, dass er nicht zu brechen war. 2005 hatte man ihn über den Golf in das neue Hochsicherheits-Isolationsgefängnis Camp Echo verlegt. Hier waren die Zellen kleiner, sie hatten weiße Wände, und Bewegung für die Häftlinge gab es nur nachts. Seit einem Jahr hatte der Mann die Sonne nicht mehr gesehen.
    Keine Familie fragte lautstark nach ihm, keine Regierung bemühte sich um Informationen über ihn, kein Anwalt klagte um seinetwillen. Die Häftlinge um ihn herum verfielen in psychotische Zustände und wurden zur Therapie fortgebracht. Er blieb stumm und las seinen Koran. Draußen wurde die Wache abgelöst, während er betete.
    »Verdammter Araber«, knurrte der Mann, der jetzt dienstfrei hatte. Seine Ablösung schüttelte den Kopf.
    »Er ist kein Araber«, sagte er. »Er ist Afghane.«
     
    »Wie

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