der Agentenschreck
riefen sie Balkantourist an.
Endlich meldete sich Nevena. »Es ist drei Uhr früh«, sagte sie aufgebracht.
»Auf dem Fußboden meines Hotelzimmers liegt ein Einbrecher«, sagte Mrs. Pollifax.
Nevena übersetzte dem Nachtportier die Nachricht. Er glotzte Mrs. Pollifax ungläubig an und gab ihr den Hörer zurück.
»In Bulgarien gibt es keine Einbrecher«, erklärte Nevena gekränkt. »Und überhaupt, warum sperren Sie überhaupt Ihren Schrank und das Zimmer nicht ab!«
»Das tat ich. Ich habe den Schrankschlüssel sogar unter mein Kopfkissen gelegt und darauf geschlafen. Aber der Mann hatte den Schrank bereits aufgebrochen, weil er meinen braunen abgesteppten Mantel auf dem Arm hatte. Das habe ich gesehen.«
Die Hotelangestellten erhielten ihre Weisungen. Einer fuhr mit Mrs. Pollifax in die sechste Etage. Er begleitete sie zu ihrem Zimmer, dessen Tür offen stand. Vorsichtig schielte er hinein.
Mrs. Pollifax folgte ihm nach. Das Zimmer war leer.
»Na bitte. Inzwischen hat er sich aus dem Staub gemacht!« entrüstete sie sich.
Der Portier deutete auf die Schranktür und sah Mrs. Pollifax fragend an. Die Tür war
versperrt. Mrs. Pollifax ging zu ihren Kopfkissen. Der Schlüssel lag unberührt darunter. Vor den Augen des Nachtportiers sperrte sie den Schrank auf.
Ihr Mantel sowie sämtliche Kleider hingen im Schrank. Im Fach lag ihr Hut. Alles war an seinem Platz.
Ratlos — weil sie eben noch ihren Mantel vor dem Schrank gesehen hatte — wandte sie sich an den Portier. Ein einziger Blick verriet ihr, was er dachte. »Amerikanski«, brummte er verächtlich und ging.
Diesmal stellte Mrs. Pollifax zwei Stühle vor ihre Tür und versteckte den Schrankschlüssel unter der Matratze, ehe sie zu Bett ging.
Am nächsten Tag machte Nevena keine Anspielung auf die nächtliche Ruhestörung. Sie war
entzückt, daß Mrs. Pollifax bereits auf sie wartete. »Sie wollen immer noch allein besichtigen auf den Rädern?«
»Ja. Ich dachte, ich fahre am besten zum Fernsehturm auf dem Vitoshaberg. Den kann ich
nicht verfehlen, weil man ihn schon von weitem sieht.«
»Gut. Vielleicht fahren Sie auch Seilbahn. Geht zuerst hinunter, dann hinauf — großartige Aussicht! Zum Mittagessen empfehle ich Kopitoto. Sehr gut. Hier ist Auto.« Sie begleitete Mrs. Pollifax zum Schlag eines blitzenden grünen Volkswagens.
»Sie sind sicher?«
Mrs. Pollifax betrachtete das Fahrzeug und hatte Bedenken. Dann aber sagte sie: »Ganz
sicher«, stieg ein, drehte den Schlüssel, und der Motor sprang an.
Aber Nevena mußte das letzte Wort haben. Sie beugte sich ins Fenster. Ihre Augen
funkelten spöttisch. »Und daß Ihnen keiner wieder den hübschen braunen Mantel stiehlt,
wie, Mrs. Pollifax?« schrie sie ihr ins Ohr.
8
Eine Stunde später saß Mrs. Pollifax stolz auf der Terrasse des Restaurants Kopitoto. Der Bergwind zauste den Vogel auf ihrem Hut. Zu ihren Füßen lag Sofia. Wundervoll, dachte sie und sah sich begeistert auf der Terrasse mit den bunten kleinen Tischen um. Aber entweder war Sofia eine besonders kleine Stadt, oder sie kannte bereits erstaunlich viele Leute. Da war einmal der kleine graue Mann von gestern abend, der im Hotel gegessen hatte. Er nahm eben Platz. Daß er wenige Minuten nach ihr erschienen war, fand sie merkwürdig. Vielleicht war der Mann ebenfalls Tourist. Nur machte er einen äußerst freudlosen Eindruck.
Als nächstes erkannte sie die Amerikanerin Debby aus der Gruppe junger Leute vom Belgrader Flughafen. Mit Ausnahme Philips waren alle hier. Einer von ihnen stand auf und sprach eindringlich und heftig gestikulierend: Nikki. Ihr Kellner kam und verstellte ihr die Sicht.
Mrs. Pollifax bestellte und aß. Dann nahm sie Mantel und Tasche und warf noch einen Blick über die Terrasse. Philip war noch immer nicht erschienen, und Nikki brach eben auf. Er lächelte und schüttelte jedem die Hand. Als er gegangen war, ging Mrs. Pollifax zu den jungen Leuten. »Guten Tag«, sagte sie fröhlich. »Wir kamen mit derselben Maschine aus Belgrad an. Gefällt Ihnen Sofia?«
Fünf Gesichter drehten sich ihr befremdet zu.
»Ich hatte mich mit Phil unterhalten«, erklärte sie und nahm auf dem Stuhl Platz, den Nikki eben geräumt hatte. »Ist er heute auch mit von der Partie?«
Die junge Amerikanerin brach in Tränen aus.
»Mon cheri«, sagte der blasse junge Mann zärtlich und griff nach ihrer Hand.
»Ist er krank?« fragte Mrs. Pollifax besorgt.
»Im Gefängnis — hier in Sofia«, schluchzte Debby. »Sie haben
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