der Agentenschreck
spreche das Englische.«
»Ich möchte gerne eine Lammfelljacke oder Weste für einen Herrn mit nach Hause nehmen«, sagte sie.
»Oh, wir haben sehr schönes Leder«, er nickte.
»Fein.« Sie sah ihm in die Augen und sagte: »Ich brauche eine braune Weste für einen Freund in Amerika.«
»Eine braune«, sagte er erfreut. »Nicht schwarz?«
Sie schüttelte den Kopf. »Braun. Hier sind die Maße.« Sie gab ihm den Zettel.
Seine Miene blieb unverändert. Sorgfältig schrieb er die Zahlen ab und kaute dabei an seiner Unterlippe. »Wohnen Sie in einem Hotel?«
»Im Rila.« Dann fiel ihr ein, daß die Inschrift über ihrem Hotel unleserlich war, und zog einen Hotelprospekt mit Bild hervor, den sie ihm zeigte.
»Ja. Ihr Name?«
»Mrs. Pollifax.«
»Pollifax.« Er schrieb sich weder Namen noch den Namen des Hotels auf. »Pardon, bitte?«
sagte er höflich und verschwand unvermittelt im Hinterzimmer. Über das Surren der Nähmaschine hinweg hörte sie ihn sprechen. Anscheinend telefonierte er, da sie keine Antwort hörte. Kurz darauf kam er zurück. »Die Weste wird —« er schürzte nachdenklich die Lippen, »vielleicht zwölf Leva kosten, vielleicht achtzehn.«
»Fantastisch«, rief Mrs. Pollifax. Daß sie nur sechs oder sieben Dollar für eine Lammfellweste zahlen mußte, begeisterte sie, bis ihr wieder einfiel, daß es sich nur um einen fiktiven Auftrag handelte.
»Wir verständigen Sie. Vielleicht morgen, wenn recht ist?«
Zum erstenmal sah er sie vielsagend an. Sie nickte.
»Danke«, sagte sie und ging.
Langsam kehrte sie zu ihrem Hotel zurück. Zwischendurch blieb sie vor verschiedenen Auslagen stehen, um zu beweisen, daß sich ihr Interesse nicht nur auf Maßschneidereien beschränkte, falls ihr jemand gefolgt war. In ihrem Hotelzimmer in der sechsten Etage angelangt, fühlte sie sich ungemein erleichtert. Sie hatte sich einer schweren Verantwortung entledigt, den Laden gefunden und die Widerstandsgruppe von ihrer Ankunft verständigt.
Alles andere lag nun bei jenem Tsanko. Sie aber war frei und durfte ihren Aufenthalt in Sofia unbeschwert genießen.
Nachdem sie die oberste Lage ihres Koffers ausgepackt hatte, duschte sie rasch und kleidete sich an. Sie war viel zu unternehmungslustig, um hungrig zu sein. Deshalb beschloß sie, auch gleich ihre morgige Aufgabe zu erledigen und sich mit Mr. Carleton Bemish in Verbindung zu setzen. Vielleicht ließ er sich überreden, mit ihr zu Abend zu essen. Und wenn nicht, konnte sie ihn zumindest für eine Stadtrundfahrt in ihrem Leihwagen engagieren.
Bestens, fand sie, stülpte ihren Hut auf den Kopf und fuhr im Lift nach unten. Dann begann sie, Mr. Bemishs Straße und Haus zu suchen. Erste Kreuzung links, sagte sie sich vor, dann vier Blocks bis zum Rila. In umgekehrter Richtung hieß das, daß sie sich vier Blocks von dem Platz entfernen und dann nach rechts wenden mußte. Und da stand das Haus auch.
Sie war sehr stolz, schon in den ersten Stunden ihres Aufenthaltes soviel geleistet zu haben.
Bei näherer Betrachtung machte das Haus einen ausgesprochen deprimierenden Eindruck.
Zwar war alles neu und sauber, aber völlig schmucklos und nüchtern. Im Vorhaus war eine Namenstafel angebracht. Bemish wohnte Tür 301. Ein fensterloses Treppenhaus wand sich zu einem unsichtbaren Treppenabsatz empor, von dem ihr Kohlgeruch entgegenschlug. Es gab keinen Fahrstuhl.
Je höher Mrs. Pollifax stieg, desto intensiver wurde der Kohlgeruch. An Tür Nummer 301
klopfte sie und wartete. Im Haus war es still, aber in der Wohnung sang ein Mann. Die Stimme klang herausfordernd und zu laut. Mr. Bemishs Cocktailstunde schien bereits vor etlichen Stunden begonnen zu haben.
Die Tür ging auf, und ein vergnügter, rundlicher Mann strahlte sie an.
»Mr. Bemish? Mr. Carleton Bemish?«
»In voller Lebensgröße.«
Eigentlich hätte er sagen müssen: in voller Lebensrundheit.
Alles an ihm war kreisförmig: ein dicker Kugelbauch, ein rundes Gesicht, rundes Kinn, kleine runde Augen, die in Fettkreisen eingebettet lagen, und ein kleiner runder Mund. Er machte einen ungemein leutseligen Eindruck, bis Mrs. Pollifax in seine Augen sah. Sie waren merkwürdig leblos. Wie von Stein.
»Mein Name ist Pollifax«, sagte sie. »Darf ich eintreten? Man hat mir gesagt...« Unsicher brach sie ab. Er stand fest in der Tür und versperrte ihr den Weg.
»Etwas Angenehmes, hoffe ich«, sagte er zwinkernd.
»Daß ich mit Ihnen sprechen könnte«, sagte sie und schob sich energisch an ihm vorbei ins
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