Der Alchimist von Krumau
wenn man es recht genau nahm, nicht einmal das, sagte sich der Maître, indem er dem feixenden Frätzlein sein eisernes Lächeln entgegenhielt.
»Sorgt Euch nicht, cher maître«, sagte Julius, und seine Unterlippe zuckte, »Magister Hezilow hat tatsächlich in der alchimistischen Akademie meines Vaters mitgewirkt. Ihr kennt doch Kelley; der ehrsüchtige Angelsachse mochte keinen Schwarzkünstler von Hezilows Rang neben sich dulden und lag Ihrer Majestät in den Ohren, bis mein Vater unsern Puppenmacher aus dem Hradschin komplimentierte, wenn auch in allen Ehren und mit einem Dokument versehen, das ihn als ruhmreichen Adepten preist.«
Er warf Hezilow einen auffordernden Blick zu – grauenvoll vertrauensvoll, dachte d’Alembert. Unbehaglich sah er zu, wie der Russe eine Papierrolle unter seinem Lumpenmantel hervorzog und umständlich entrollte. Er zwang sich, den Fetzen entgegenzunehmen, für einen Moment sah er nur die fettigen Flecken, Knicke und Risse, die den Text wie mit Warzen und Runzeln überzogen.
»… erklären Wir, Rudolf II. Kaiser von Gottes Gnaden, Unsere überströmende Dankbarkeit für den erleuchteten Moskowiter Magister Jurij Hezilow, Unsern treuen Untertanen, der Uns Anno Domini 1601 in der Akademia zu Prag eifrig beigestanden bei Unserm Trachten, in die tiefsten Geheimnisse der Natur einzudringen. Studio philosophorum comparatur putrefactio chemica – ut per solutionem corpora solvuntur, ita per cognitionem resolvuntur philosophorum dubia. Die Lehre des Magisters hat Uns die Augen aufgetan …«
Keine üble Fälschung, dachte d’Alembert, indem er das Blatt sinken ließ. Im Augenblick schien es ihm nicht ratsam, den Russen offen der Betrügerei zu zeihen. Noch war er keineswegs sicher, ob er den Lumpenkerl schleunigst wieder verjagen oder für höhere Zwecke einspannen sollte. So ließ er willenlos zu, dass ihm der Puppenmacher das Papierfetzlein wieder aus der Hand nahm, es einrollte und erneut unter schwarzen Lumpen verstaute, derweil seine prallen Lippen schnappende Bewegungen im Bartgestrüpp vollführten.
»War Hezilow aber noch nicht in käjserlicher Gunst, als er diesen da erschuf«, sagte der Alchimist und deutete in den Käfig hinein. »Ist sich auch schon ein paar hibsche Jährchen her, lasst mich rechnen, Euer Liebden – das geschah in Basel, finfzehnnäjn’nachtzig A.D.«
Es dauerte eine geraume Weile, bis Charles d’Alembert die Bedeutung dieser wie beiläufig hingeworfenen Worte erfasste. Voll faszinierten Widerwillens starrte er auf das Stäblein in Hezilows Hand, dessen Spitze auf den im Kerkerstroh kauernden Flor deutete. Es sieht ganz und gar aus wie mein Stöckchen, dachte er, genauso lackiert und gedrechselt, von anderthalb Ellen Länge – nur dass seines schwarz ist und meines weiß! Gewaltsam riss er sich vom Anblick des Hölzleins los und zwang sich, Hezilows Sermon zu lauschen.
»Gut meeglich, dass Ihr davon geheert habt, Exzellenz, aber wett ich, Ihr gebt wenig auf solches Gewäsch. Hatten mich sintemalen die Ratsherren zu Basel als ihren Stadtarzt gedungen, ward Hezilow aber bald schon verleumdet und unter Geschräj aus der Stadt gejagt.« Mit der Spitze seines Stabes stieß er heftig in den Käfig hinein, auf Flor zu, der im Stroh hockte und mit weit aufgerissenen Augen auf Hezilow starrte. »Den Herren Scholaren gefiel’s gar sehr«, fuhr der Puppenmacher fort, »dass ich an der Universität in deutscher Sprach’ aus meiner Künstlichen Medicina las, nur die Pfaffen lamentierten, dass sich die Gelehrtheit latäjnisch sprechen misst oder andernfalls des Teufels wär. Ist sich Hezilow aber stur wie ein Baseler Holzkopf« – mit der Faust pochte sich der Russe auf den Schädel – »und daher beschlossen die Ratsherren, mich wieder aus der Stadt zu wäjsen. Von Basel ist sich Hezilow nach St. Gallen …«
»Verzeiht, wenn ich Euch ins Wort falle«, unterbrach ihn d’Alembert, dem Katharina da Strada regelmäßig die neuesten Nachrichten von Magiern und Quacksalbern sandte. »Da Euer Gedächtnis Euch im Stich zu lassen droht, Magister Hezilow, gebietet mir schiere Höflichkeit, Euch ein wenig zu Hilfe zu kommen.« Er holte sein Stöcklein unter dem Arm hervor und deutete auf den Puppenmacher, der seinerseits noch immer auf den Nabellosen wies. »Verhielt es sich nicht eher so, dass Ihr aus der Stadt Basel zu fliehen vorzogt, da der Rat beschlossen hatte, Euch in den Kerker zu werfen?« Er glaubte ein Zucken im verstrüppten Frätzlein wahrzunehmen.
Weitere Kostenlose Bücher