Der Alchimist von Krumau
Seufzer wandte sich d’Alembert nach rechts, zum vierten Hof hinauf, hinter dem sich die gewaltige Mantelbrücke hoch über der Moldau ausspannte. Dahinter begann schon die Allee, die steil bergan zum Schlosspark führte. Julius’ Kammerdiener Robert hatte ihm zugerufen, dass der Herr mit der Baderstochter hinauf in den Garten wollte, zum künstlich angelegten Teich, auf dem paarweise schwarze Schwäne schwammen, oder in den ausgedehnten Irrgarten, den gleichfalls der alte Wilhelm hatte anlegen lassen.
Während d’Alembert weitereilte, bewunderte er einmal mehr die vollkommene Komposition von Burg Krumau und verfluchte zugleich die Weitläufigkeit der Anlage, eine ebenso abgeschlossene Welt wie der Hradschin zu Prag. Um fünf Höfe gruppierte sich eine kleine Stadt, die selbst im Belagerungsfall für sich bestehen konnte, mit eigenem Theater, kaiserlichem Appartement, drei Dutzend Prunksälen, mit vierzig riesenhaften Gebäuden, deren größtes nicht weniger als neunundachtzig Zimmer umfasste, zumindest laut dem Inventar, das beim Verkauf der Burg an Rudolf II. angefertigt worden war. Dazu Kellergewölbe, die man mit vierspännigen Kutschen befahren konnte, Stallungen für fünfhundert Pferde, Werkstätten, Scheunen und Eishäuser rings um den ersten, am tiefsten gelegenen Hof; sogar eine Apotheke und ein Krankenhaus für die Dienstboten gab es dort, Schmiede und Meierei, Käserei und Brauerei, außerdem Pulver-und Waffenkammer. Doch das alles war seit Wilhelms Tod verwaist und verrottet. Und auch durch uns, sagte sich d’Alembert, durch Don Julius’ fragwürdiges Gefolge aus Schranzen und Künstlern, wird Burg Krumau nicht mehr zu alter Blüte auferstehen. Wir spielen Theater, dachte er, plötzlich grausam ernüchtert, fieberbunte Narrenstücke aus dem Säckel der väterlichen Majestät.
Atemlos erreichte er den Schlosspark, gerade als die Sonne über den Dächern von Krumau unterging und die Moldau orangerot verfärbte; ein grandioses Spektakel, dachte d’Alembert und eilte weiter, sein weißes Stöckchen unter die schweißfeuchte Achsel geklemmt. Unheilverheißend, dass Julius gleich bei ihrer Ankunft wieder eine Maid an sich gezogen hatte – gestern Mariandl, heute Markéta. Zwar stand nicht zu befürchten, dass der Bastardsohn auch ihr Fleisch ungesäumt mit dem Beil zerbeißen würde, der Dämon musste fürs Erste gesättigt sein. Dennoch beunruhigte ihn auch die Anwesenheit der Baderstochter, je länger er über sie nachdachte, während er gegen den Gestirnslauf um den Schlossteich eilte und in Lauben, Nischen, hinter Hecken und Büsche spähte. Markéta Pichlerová, dachte er, sie erinnerte ihn an irgendjemanden, aber an wen nur? Sie irritierte ihn sogar mehr noch als die vermaledeiten Zwillinge, oder auf andere Weise, wie er sich gleich korrigierte – anders, unheimlicher, wenn auch nicht ärger als … Fabrio. D’Alembert hatte sich vor langer Zeit angewöhnt, vor sich selbst immer ehrlich zu sein, wenn auch vor niemandem sonst. Julius liebte er, aufrichtig und aufopfernd, wie ein Vater seinen Sohn lieben sollte. Den bronzehäutigen, schamlos hübschen Fabrio mit den Brombeerlippen aber begehrte er mit wütender Brunst. Doch Charles d’Alembert hatte niemals in Betracht gezogen, sich die Erfüllung gleich welcher Begierden zu gestatten, der Wollust, Völlerei oder welchen Lasters auch immer – allesamt Bestien, die es nicht zu hätscheln und zu mästen, sondern zu bändigen, zu zerbrechen galt.
Der Maître erreichte das nördliche Ufer des Schlossteichs, umrundete einen gewaltigen Eichbaum, und dahinter stand Fabrio in da Biondos welken Armen. Beim Anblick des Obersthofmeisters fuhren sie auseinander, schwerlich aus Schamgefühl, eher erschreckt durch d’Alemberts Miene, in der sich Unruhe, Unbehagen mit unerbittlichem Entsagen mischte. Im Gras verstreut der Schurz des Syrakusers, die zitronengelben Schnabelschuhe; des Malers Rechte auf der Hüfte, die Linke an der Brust des Knaben, der dem Maître aus funkelnd schwarzen Augen ins Gesicht sah. Und am Boden, keine drei Schritte abseits, kauerte die Zwillingsmaid.
»Ich«, sagte Charles und musste sich erst die Kehle freiräuspern, »suche Don Julius.«
»Der Herr ist zum Hungerturm runter«, gab Fabrio bereitwillig Auskunft, »zusammen mit der Badershur.«
Wie versteinert stand Charles d’Alembert unter der Eiche, sein Blick an der rechten Hand des frettchenhaften Malers haftend. Endlich riss er sich los und eilte davon, neuerlich um den
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