Der Alchimist von Krumau
die Umrisse eines so verwegenen wie teuflischen Plans, von Hezilow ausgeheckt, damit der Kaisersohn ihn für imstande hielt, lebendige Kreaturen zu erschaffen. Aber wenn sich alles so zugetragen hatte, dachte sie dann, wie war’s zu erklären, dass Flors magerer Bauch, der sich unter ihrem Blick in tiefem Schlaf hob und senkte, von so unnatürlich muldenloser Glätte war? Als Baderstochter hatte sie schon mancherlei Verwachsungen gesehen, dreibrüstige Frauen, Menschen mit Affenfell und einmal sogar ein zweieiniges Zwillingspaar, junge Frauen, die an den Schläfen miteinander verbunden waren. Aber einen Nabel musste doch jedes Geschöpf haben, das von einer Mutter geboren worden war.
Ihr Blick schweifte zu den Ufern des Schwanenteichs, wo sich der Maître und der Magister noch immer wie zwei Kriegsherren gegenüberstanden, in elegantem Weiß der eine, der andere lumpenhaft schwarz. Und mit jener sprunghaften Logik, zu der der menschliche Geist zuweilen auch diesseits der Träume neigt, dachte Markéta auf einmal: Auch Mutter Bianca war ja eine leidenschaftliche Schachspielerin, im Gegensatz zu Vater Sigmund, der mit den »tumben Holzpuppen« nichts anzufangen wusste – aber was soll mir dieser Erinnerungsfetzen gerade jetzt?
»Hoch mit dir, Badershur!« Jan Mular trat neben sie, die Muskete im Anschlag. Mit der Stiefelspitze stieß er Flor das Messer aus der Hand. »Und der kalte Kerl hier auch!«
30
Die Mittagssonne stand schon hoch über Krumau, als d’Alembert durch den Nordflügel der oberen Burg eilte. Auch wenn die kaiserliche Majestät ihnen viel mehr Geld zugestanden hatte, als er selbst oder Katharina da Strada jemals zu hoffen wagten, war es doch von Anfang an zu wenig gewesen, in lächerlichem, ja beschämendem Grad zu wenig; aussichtslos, mit ein paar Dutzend Truhen voller Gold und Silber eine ausgeplünderte Herrschaft wie Burg Krumau wieder herzurichten. Entsprechend schäbig sah es beispielsweise hier oben im Dachgeschoss aus, die Tapeten hingen in Fetzen von den Wänden, und aus den Türstöcken rieselte Holzmehl.
Dabei hatten sie bei der Einrichtung von Burg Krumau wahrhaftig keine Mühen gescheut. Für d’Alembert war es ein weiterer Waffengang in seinem inständigen Kampf gegen die Hässlichkeit gewesen, seine persönliche Feindin seit jeher. Für die herrschaftlichen Räume hatte er Teppiche aus Venedig besorgt und Tischsilber aus Genua, wenn auch nicht aus der Silberschmiede von Sepossi, dem berühmtesten genovesischen Juwelier, dessen Preise das gesamte kaiserliche Handgeld auf einen Schlag verschlungen hätten. Die Gobelins für die unteren Etagen hatte Oberstkämmerer von Hasslach aus Amsterdam kommen lassen, ebenso die Goldledertapeten. Die Hässlichkeit beleidigt unsere Sinne, entwürdigt die Seele und demütigt unseren Geist, sagte sich d’Alembert, als Sterbliche sind wir alle der Hässlichkeit verfallen, in Kot und Fäulnis werden unsere Leiber sich zersetzen, aber bis dahin sollen Schönheit und Eleganz, Kunst und erlesener Glanz unser Leben regieren.
Die mürben Dielen knarrten unter seinen Füßen, weiter vorn in einer Dachkammer fiepten Ratten. O ihr Götter, dachte der Maître, wenn ich nur diesen Hezilow hinausdrängen könnte, aus der Burg, aus Julius’ Gesichts-und Gedankenkreis! Doch momentan blieb ihm nichts anderes übrig, als den schwarzen Widersacher zu dulden; aber keine Bange, sagte sich der Maître, er würde den Alchimisten einfach durch einen unerwarteten Zug in Schach halten.
Mit raschen Schritten näherte er sich der Rosenberg’schen Familiengalerie, die in die Dachkammern des Nordflügels eingepfercht war, doch seine Gedanken waren noch immer bei Hezilow. Heute früh, als der Russe ihm gegenübergestanden hatte, über den Teich hinweg zu ihm herüberfeixend, da hatte er für einen Augenblick gefürchtet, die Gegenwart des Grässlichen nicht länger zu ertragen. Am liebsten hätte er seinen Gardisten befohlen, Hezilow zu verhaften und in den Turmkerker zu werfen, aber eine solche Handlungsweise kam nicht ernstlich in Betracht. Ich werde ihn bändigen und unschädlich machen, auf meine Weise, wie schon so manche Bestie vor ihm, sagte sich d’Alembert; nach dem Vorbild von Petrusco Bandinello, dem legendären Milaneser Löwenbändiger, mit dem er vor fast zwei Jahrzehnten zusammengetroffen war.
»Um ein guter Dompteur zu werden, müsst Ihr als Erstes die Bestien bändigen, die zuhauf in Eurer eigenen Seele hausen: die Hyänen der
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