Der Alchimist
und noch einen Moment abzuwarten, bis der Jüngling weitergezogen wäre.
17
Ein Schild an der Tür besagte, daß man hier d iverse Sprachen spreche. Der Jüngling sah einen Mann hinter dem Ladentisch auftauchen. Ich kann diese Gefäße putzen, wenn Ihr möchtet«, sagte der Jüngling. »So, wie sie jetzt sind, wird sie niemand kaufen wollen.« Der Händler sah ihn an, ohne etwas zu sagen.
»Als Gegenleistung zahlt Ihr mir einen Teller zu essen.« Der Mann blieb stumm, und der Jüngling fühlte, daß er eine Entscheidung fällen mußte. In seinem Rucksack war der Mantel, und in der Wüste würde er ihn sicher nicht mehr brauchen. Also holte er ihn heraus und begann, damit die Gläser und Vasen zu säubern. Innerhalb einer halben Stunde hatte er alle Gefäße aus dem Schaufenster gereinigt; während dieser Zeit waren zwei Kunden gekommen und hatten dem Händler einige Kristallgläser abgekauft.
Als er alles gesäubert hatte, bat er erneut um Nahrung. »Laß uns zusammen essen gehen«, sagte der Kristallwarenhändler. Er hängte ein Schild vor die Tür, und sie gingen zu einer winzigen Bar, oben am Berghang. Als sie am einzigen Tisch Platz genommen hatten, begann der Händler zu lächeln.
»Du hättest gar nichts putzen müssen«, meinte er. »Das Gebot des Korans verpflichtet uns, Hungrige zu speisen.« Und warum hast du's mich dann tun lassen?« fragte der Jüngling. »Weil die Gefäße schmutzig waren. Und wir beide, sowohl du als auch ich, mußten unsere Köpfe von schlechten Gedanken reinigen.« Als sie mit Essen fertig waren, wandte sich der Händler an den Jüngling: »Ich möchte, daß du für mich arbeitest. Heute kamen zwei Käufer, während du die Gläser geputzt hast, und das ist ein gutes Zeichen.« >Die Menschen sprechen so viel von Zeichen, dachte der Hirte. >Aber es ist ihnen gar nicht bewußt, was sie sagen. So wie es mir auch nicht bewußt war, daß ich mich mit den Schafen seit langem schon in einer Sprache jenseits der Worte v erständigt habe.< »Willst du für mich arbeiten?« beharrte der Händler. »Ja, ich kann den Rest des Tages arbeiten«, antwortete der Jüngling. »Bis zum Morgengrauen werde ich sämtliche Kristallgefäße des Geschäft es gereinigt haben. Dafür möchte ich dann das nötige Geld, um noch morgen nach Ägypten zu kommen.« Nun mußte der Kristallwarenhändler lachen.
»Selbst wenn du meine Gläser ein Jahr lang polieren würdest, selbst wenn du eine gute Verkaufsprovision bekämst, dann müßtest du immer noch zusätzlich Geld leihen, um nach Ägypten zu gelangen. Zwischen Tanger und den Pyramiden liegen Tausende von Wüstenkilometern.« Da kehrte einen Augenblick lang eine Stille ein, als sei die Stadt in tiefen Schlaf versunken. Es gab keine Bazare mehr, keine diskutierenden Händler, keine Männer, die auf ihren Minaretten sangen, keine prachtvollen Schwerter mit verzierten Griffen. Es gab keine Hoffnung mehr und kein Abenteuer, keine alten Könige und persönlichen Lebenspläne, keinen Schatz und keine Pyramiden. Es war, als schweige die ganze Welt, weil die Seele des Jünglings verstummt war. Es gab keinen Schmerz, kein Leiden, keine Enttäuschung: nur einen leeren Blick hinaus durch die offene Bartüre und eine große Sehnsucht zu sterben, den Wunsch, daß alles in dieser Minute ein Ende hätte.
Der Händler schaute besorgt auf den Jüngling. Es war, als ob die ganze Lebensfreude, die er ihm an diesem Morgen angesehen hatte, plötzlich verschwunden war.
»Ich kann dir Geld geben, damit du in deine Heimat zurückkehren kannst, mein Sohn«, sagte der Händler beschwichtigend.
Der Jüngling blieb stumm. Dann stand er plötzlich auf, richtete seine Kleider und nahm seinen Rucksack.
»Ich werde für Sie arbeiten«, sagte er. Und nach einer weiteren Pause fügte er hinzu: »Ich brauche Geld, um einige Schafe zu kaufen.«
Zweiter Teil
1
Seit beinahe einem Monat arbeitete der Jüngling nun schon für den Kristallwarenhändler, aber die Tätigkeit machte ihn nicht recht glücklich. Der Händler stand den ganzen Tag mürrisch hinter dem Ladentisch und ermahnte ihn ständig, vorsichtig zu sein, um nichts zu zerbrechen. Dennoch blieb er in seinem Dienst, da der Alte zwar mürrisch, aber nicht ungerecht war; der Jüngling erhielt eine gute Provision für jedes verkaufte Stück, so daß er schon einiges Geld beisammen hatte. An diesem Morgen stellte er einige Berechnungen an: Wenn er weiterhin so arbeiten würde wie bisher, dann brauchte er ein ganzes Jahr, um sich eine
Weitere Kostenlose Bücher