Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Alchimist

Der Alchimist

Titel: Der Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
Vom Netzwerk:
von Dienern und Kamelen, aber die meisten waren viel ärmer als ich. Alle kehrten sie zufrieden zurück und hängten die Symbole der Pilgerfahrt über ihren Türen auf. Einer von ihnen, ein einfacher Schuster, der fremde Schuhe reparierte, erzählte mir, daß er fast ein ganzes Jahr durch die Wüste gewandert sei, aber das hatte ihn weit weniger angestrengt, als durch die Stadtviertel von Tanger zu streifen, auf der Suche nach geeignetem Leder.« »Wenn das so ist, warum gehen Sie nicht jetzt nach Mekka?« fragte der Jüngling.
    »Weil Mekka mich lebendig hält. Das läßt mich all die eintönigen Tage ertragen, die stummen Gegenstände in den Regalen, die Mahlzeiten in dem schrecklichen Restaurant. Ich habe Angst, meinen Traum zu verwirklichen und danach keinen Ansporn mehr zum Weiterleben zu haben. Du träumst von Schafen und Pyramiden. Du bist ganz anders als ich, weil du dir deinen Traum erfüllen willst. Ich hingegen möchte nur von Mekka träumen. Ich habe mir schon hundertmal die Durchquerung der Wüste vorgestellt, meine Ankunft auf dem Platz mit dem Heiligen Stein und die sieben Runden, die ich um ihn drehe, bevor ich ihn berühren darf. Ich habe mir ausgemalt, welche Personen sich um mich herum befinden, und die Worte und Gebete, die wir miteinander sprechen werden. Aber ich befürchte auch, daß es eine große Enttäuschung werden könnte, deshalb ziehe ich es vor, nur davon zu träumen.« An diesem Tag gab der Händler seine Zustimmung, das Regal zu bauen. Jeder hat seine eigene Auffassung von Träumen.
2
    Es waren abermals zwei Monate vergangen, und das Regal hatte dem Kristallglasgeschäft viele Kunden gebracht. Der Jüngling rechnete sich aus, daß er nach sechs weiteren Monaten nach Spanien zurückkehren und wieder sechzig Schafe, ja noch weitere sechzig anschaffen könnte. In weniger als einem Jahr hätte er seine Herde verdoppelt und könnte mit den Arabern Handel treiben, weil er diese seltsame Sprache inzwischen verstand. Seit jenem ersten Morgen auf dem verlassenen Marktplatz hatte er Urim und Thummim nicht mehr benutzt, denn Ägypten war für ihn nur noch ein Traum, so weit weg wie Mekka für den Händler. Inzwischen hatte er seine Arbeit auch schätzengelernt, und er dachte immer an den Augenblick, wo er in Tarifa als Sieger an Land gehen würde. »Erinnere dich immer an das, was du erreichen willst«, hatte der alte König einmal gesagt. Nun wußte er es und arbeitete darauf hin. Vielleicht bestand sein Schatz ja darin, in dieses fremde Land zu kommen, einem Dieb zu begegnen und seine Herde zu verdoppeln, ohne das Geringste dafür ausgegeben zu haben. Er war recht stolz auf sich. Schließlich hatte er wichtige Dinge gelernt, wie den Handel mit Kristallgefäßen, Sprache ohne Worte und die Zeichen. Eines Nachmittags war ihm hier oben am Berghang ein Mann begegnet, der sich beschwerte, daß es nach diesem steilen Anstieg nirgends einen ordentlichen Ort gab, wo man etwas zu trinken bekäme. Nachdem der Jüngling die Sprache der Zeichen mittlerweile kannte, rief er den Händler und sagte: »Laß uns Tee ausschenken für die Leute, die den Hang hinaufkommen.« »Es gibt genug Teeverkäufer in dieser Gegend«, antwortete der Händler. »Wir könnten den Tee doch in Kristallgläsern servieren. Dann wird er besser schmecken, und die Leute werden die Gläser gleich mitkaufen. Denn was die Menschen am meisten verführt, ist die Schönheit.« Der Händler schaute den Jüngling eine Weile schweigend an. Er antwortete nichts. Aber an diesem Abend, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte und der Laden geschlossen war, setzte er sich mit ihm auf den Bürgersteig und forderte ihn auf, mit ihm eine Nargileh zu rauchen, jene eigentümliche Wasserpfeife, die die Araber benutzen. »Was suchst du eigentlich?« fragte der alte Kristallwarenhändler. »Wie ich schon sagte, will ich meine Schafe zurückkaufen. Und dazu benötigt man Geld.« Der Alte gab noch etwas Glut in die Pfeife und nahm einen tiefen Zug. »Seit nun schon dreißig Jahren besitze ich diesen Laden. Ich kenne den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Kristall und weiß genau, wie der Handel funktioniert. Wenn du Tee in Kristallgläsern servierst, dann wird das Geschäft blühen. Dann muß ich meinen Lebensstil ändern.« »Wäre das denn so schlimm?« »Ich habe mich daran gewöhnt. Bevor du kamst, dachte ich noch, daß ich so viel Zeit hier verloren hätte, während all meine Freunde fortgezogen sind und ihre Geschäfte eingingen

Weitere Kostenlose Bücher