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Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Blüte und zur Reife, breiten sich aus, erkunden
ihre Umgebung, schrumpfen wieder und gehen zugrunde. Ein Zyniker
könnte sagen: Ha! Das ist ein Naturgesetz – niemand kann
sich dessen rühmen, niemand hat Schuld daran. Ich aber sage:
Bravo! Respekt vor allen, die sich Mühe geben, die den Mut
haben, sich an dem Spiel zu beteiligen! Aber wir? Wir? Nein, wir sind
anders. Wir sind verflucht, gezeichnet, vom Schicksal dazu verdammt,
länger zu bleiben, als wir willkommen sind, eine Nische zu
besetzen, in der auch viele andere – ja, viele! – Platz
finden könnten. Alle Welt fühlt sich bedrängt, weil
wir immer noch hier sind, obwohl wir uns schon längst zusammen
mit unseren damaligen Zeitgenossen aus dem Staub gemacht haben
sollten. Es ist eine Schande, ich gebe es gerne zu. Unter Freunden
kann man offen sein. Außerdem bin ich nur ein verrückter
alter Dweller, ein Tramp, von allen verachtet, ein Zugvogel, der von
Ort zu Ort schwebt und sich, wenn er Glück hat, von Almosen
ernährt. Aber ich nehme eure Geduld über Gebühr in
Anspruch. Vergebt mir. Bis auf die Stimmen, die ich selbst erfinde,
habe ich so selten einen Gesprächspartner.«
    Der Sprecher hieß Oazil und war ein ausgegliederter Dweller
im Schwellenalter. Ein Ausgegliederter hatte irgendwann erklärt,
er sei an der stetigen Progression von Alter und Rang, die ein
Bürger nach Ansicht der Dweller-Gesellschaft üblicherweise
einzuhalten hatte, nicht interessiert oder distanziere sich davon.
Manchmal wurde diese Erklärung auch von seinen Altersgenossen
abgegeben. Ausgegliedert zu sein war nicht zwangsläufig eine
Schande – man verglich es oft damit, dass jemand Mönch oder
Nonne wurde – aber wenn sich ein Dweller nicht aus freien
Stücken, sondern auf Druck von außen für diese
Daseinsform entschied, musste man davon ausgehen, dass er früher
oder später zum Ausgestoßenen würde und man ihn von
seinem Heimatplaneten verbannte. Bei der Unbefangenheit, mit der die
Dweller an interstellare Entfernungen und an die
Qualitätskontrolle im Raumschiffbau herangingen, käme dies
einer Verurteilung zu mehreren tausend Jahren Einzelhaft oder zum
Tode gleich.
    Oazil war ein Herumtreiber, ein Tramp, ein ewiger Wanderer. Er
hatte den Kontakt zu seiner Familie, an die er sich nach eigener
Aussage nur noch vage erinnerte, ganz und gar verloren, er hatte so
gut wie keine echten Freunde, gehörte keinem Club, keiner
Bruderschaft, keiner Gesellschaft, Liga oder sonstigen Gruppierung an
und hatte keinen festen Wohnsitz.
    Er lebte, so hatte er erzählt, in seinem Panzer und seinen
zerschlissenen und kunterbunt zusammengewürfelten Kleidern.
Dennoch war er eine imposante Erscheinung. Er schmückte sich mit
kunstvoll gemalten Bildern von Sternen, Planeten und Monden, mit
konservierten Blüten von mehreren Dutzend WolkenPflanzenarten
und mit polierten Knochen und glänzenden, in Buchsen steckenden
Schädeln verschiedener kleinerer Vertreter der Gasriesenfauna.
Eine nicht ganz so umfangreiche und nicht ganz so wilde Kollektion
von so genannten Lebensamuletten hatte auch Valseir getragen, wenn er
nicht gerade an irgendeinem offiziellen Anlass teilnehmen musste.
    Bei der ersten Begegnung mit dem Dweller-Tramp hatte Fassin
zunächst sogar vermutet, es handle sich um Valseir, der sich
verkleidet hatte, um unerkannt zurückkommen und alle foppen zu
können. Vielleicht wollte er sehen, wie sie den armen Wanderer
behandelten, bevor er sich als rechtmäßiger
Eigentümer des Hauses zu erkennen gab und zurückforderte,
was ihm gehörte. Aber die Unterschiede zwischen Valseir und
Oazil waren zu groß. Oazil war massiger, sein Panzer eine
Winzigkeit weniger symmetrisch und seine Zeichnungen weniger
verschnörkelter hatte eine deutlich tiefere Stimme, und auch die
Anzahl an Flügelrädern und Gliedmaßen, die ihm noch
verblieben war, stimmte nicht überein. Am meisten fiel auf, dass
Oazils Panzer sehr viel dunkler war als der von Valseir. Die beiden
waren etwa im gleichen Alter – Oazil wäre etwas jünger
gewesen, wenn er die Hierarchie nicht verlassen hätte: ein
Schwellen-Baloan oder – Nompar vielleicht, während Valseir
ein Schwellen-Choal war –, aber Oazil wirkte viel älter. Er
war dunkler, verwitterter, fast so dunkel wie Jundriance, der zehnmal
so alt war, aber weite Strecken seines Lebens als Gelehrter in
›Langsam‹-Zeit verbracht hatte, anstatt, den Elementen
ausgesetzt, durch die Atmosphäre zu wandern.
    Oazil zog einen Schwebekarren hinter sich her, der die Form

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