Der Algebraist
denn überhaupt noch wollen, dass
sie in einen Sept einheiratete, der gar nicht mehr existierte? Wo war
jetzt die gute Partie, die Vernunftheirat? Würde Jaal ihn
überhaupt noch wollen, und wenn ja, würde sie nicht nur aus
Pflichtbewusstsein seine Frau werden, aus Mitleid, weil sie glaubte,
sich an den Vertrag halten zu müssen, komme, was da wolle? Und
wären das nicht die besten Voraussetzungen für eine Ehe
voller Vorwürfe und Verbitterung?
Die Erkenntnis, dass er wahrscheinlich auch Jaal verloren hatte,
war fast tröstlich. Er kam sich vor, als hänge er über
einem tiefen Abgrund und würde gleich stürzen, es war seine Bestimmung, und am meisten Schmerz bereitete ihm, dass er sich
immer noch festhielt, sich mit brechenden Fingernägeln in den
Felsen krallte. Er brauchte nur den letzten Schritt zu tun und das
Einzige loszulassen, woran er sich klammerte. Der Sturz selbst
wäre schmerzlos.
Er würde sich nicht das Leben nehmen. Zu wissen, dass er die
Möglichkeit dazu hatte, bereitete ihm eine grimmige Genugtuung,
aber er würde es nicht tun. Schon weil er ziemlich sicher war,
dass Hatherence ihm gefolgt war und sich mit der Tarneinrichtung
ihres Schutzanzugs vor den Sensoren seines Gasschiffs verbarg. Sie
würde versuchen, ihn davon abzuhalten. Das könnte zu einem
unwürdigen Gerangel führen, und womöglich hätte
sie sogar Erfolg. Wenn er wirklich Selbstmord begehen wollte,
gäbe es sicher einfachere Wege. Er brauchte nur tiefer in die
Kriegszone einzufliegen und mit Höchstgeschwindigkeit auf einen
Panzerkreuzer zuzusteuern, das sollte genügen.
Außerdem wäre der Freitod eine zu einfache, zu
egoistische Lösung. Er würde den Schuldgefühlen ein
Ende machen, die so schrecklich an ihm nagten, und einen Strich unter
das Ganze ziehen. Aber womit hätte er diesen einfachen Ausweg
verdient? Er fühlte sich also schuldig? Und wenn schon? Er hatte
nichts Böses gewollt – ganz im Gegenteil –, er hatte
sich nur geirrt. Seine Schuldgefühle waren dumm. Sie waren
verständlich, aber sie waren dumm, eine Fehlreaktion. Die Seinen
waren tot, und er war am Leben. Sein Verhalten mochte der direkte
Anlass für ihren Tod gewesen sein, aber nicht er hatte sie
getötet.
Was blieb ihm noch? Rache vielleicht. Aber wer war der Schuldige?
Wenn es wirklich die Beyonder gewesen wären, stünde er mit
seinem alten Verrat (man konnte auch von einem Opfer für seine
Prinzipien sprechen) ziemlich töricht da. Er verabscheute die
Merkatoria nach wie vor, das ganze grausame, schwachsinnige,
aufgeblasene und eitle, die Empfindungsfähigkeit verachtende
System war ihm verhasst. Aber er hatte sich nie der Illusion
hingegeben, die Beyonder oder eine andere der großen
Gruppierungen wären die Güte selbst, und er hatte immer
gewusst, dass der Kampf gegen die Merkatoria nur langwierig,
schmerzhaft und blutig sein konnte. Auch er musste vielleicht eines
langen und grausamen Todes sterben – er würde alles tun, um
das zu vermeiden, aber manchmal war man einfach machtlos. Er wusste
auch, dass in einem gerechten Krieg eine ebenso große Zahl von
Unschuldigen ebenso jämmerlich verrecken konnte wie in einem
ungerechten. Ein Krieg sollte immer und fast um jeden Preis vermieden
werden, denn Kriege vergrößerten die Fehler und
vervielfachten die Irrtümer. Dennoch hatte er die Hoffnung nicht
aufgegeben, seine Rolle im Kampf gegen die Merkatoria mit einer
gewissen Eleganz, einem Hauch von strahlendem Heldentum spielen zu
können.
Stattdessen: heilloses Durcheinander, Dummheit, maßlose
Verschwendung, sinnlose Qualen, Elend und Massensterben – die
üblichen Begleiterscheinungen eines Krieges hatten ihn getroffen
wie jeden anderen auch. Es war keine gerechte Strafe, es hatte keine
moralischen Gründe, nicht einmal Gehässigkeit war im Spiel.
Es handelte sich lediglich um die grässlich banalen Folgen von
Naturgesetzen wie Physik, Chemie, Biochemie und Orbitalmechanik. Und
darum, dass alle empfindungsfähigen Wesen, die miteinander im
Streit lagen, die gleichen Verhaltensmuster zeigten.
Vielleicht hatte er alles heraufbeschworen. Nicht weil er
Slovius geraten hatte, das Herbsthaus zu verlassen. Sein Tripjener
berühmte Trip, die Bekanntschaft mit Valseir, der Austausch von
Informationen mochten der eigentliche Grund für die Misere sein.
Vielleicht war er tatsächlich der Schuldige. Wenn er alles
für bare Münze nahm, was man ihm gesagt hatte, dann ja.
Er wollte lachen, aber das Kiemenwasser in Mund, Kehle und Lungen
hinderte ihn
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