Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Verkehrs sagen können, aber es war weit und breit kein Auto zu sehen.
Mercedes öffnete eine Flasche Weißwein und schenkte in vier Gläser ein. Wir stießen an und tranken. Das Gespräch, das folgte, war zuerst dem Haus gewidmet, dem aufwendigen Umbau der Gebäude, der Schönheit der Gegend und den idealen Bedingungen, um Klavier zu spielen. Die Ruhe, die man hier habe, nicht zuletzt die Möglichkeit, auch während der Nacht zu üben, ohne in anstrengende Diskussionen mit einer Hausgemeinschaft zu geraten.
Kerstin blickte zu mir herüber, als wollte sie sagen: »Na gute Nacht!«
Einmal fragte ich: »Was machen die beiden Kinder eigentlich?«
»Vielleicht unterhalten sie sich«, meinte Clara Foresta.
Es war ihr Mann, der ihr erklärte, daß Simon nicht der Junge sei, der sich unterhalte. Worauf sie sich verwundert zeigte. Sie meinte, sie habe nichts bemerkt. Sagte dann aber, an mich gerichtet: »Sie verzeihen, ich bin manchmal etwas verwirrt und höre Leute reden, die schweigen, und umgekehrt.« Dabei zündete sie sich eine nächste Zigarette an. Sie rauchte die ganze Zeit, nur während des Klavierspiels nicht. Mir fiel auf, wie sehr ihre Hände zitterten. Was ich erstaunlich fand angesichts dessen, wie die gleichen Finger punktgenau die Tasten des Klaviers getroffen hatten. Ich hätte sie gerne gefragt, wie sie das machte. Später vielleicht.
»Ich schau mal zu den Kindern, wenn’s recht ist«, sagte ich.
»Ja, gehen Sie nur«, meinte Mercedes, »ich zeige Frau Heinsberg unseren Garten. Unsere Rosen. Wir haben hier viele Spätblüher, noch dazu bei dem Wetter. – Mögen Sie Rosen, Frau Heinsberg?«
»Ich rieche gerne an ihnen.«
»Das ist die richtige Antwort«, sagte der Messerwerfer.
Es versteht sich, daß ich Kerstin noch nie an einer Rose hatte riechen sehen. Kam ein Rosenverkäufer, schüttelte sie widerwillig den Kopf. Klar, es gab solche und solche Rosen. Auch fragte ich mich, ob sie etwa ein Faible für ältere Männer besaß. Ältere als mich, den mit sechsunddreißig Jahren Fünfzigjährigen.
Wie auch immer, ich begab mich hinüber zur Straße, an dessen Rand Simon zusammen mit einem Mädchen hockte, jünger und kleiner als er und genauso dünn. Sie trug ein weißes Kleid, das sie anscheinend selbst bemalt hatte. Die beiden saßen nebeneinander auf einer Matte, zwischen sich einen Schirm, der sie vor der Sonne schützte. Vor ihnen auf dem Boden waren mehrere kleine Spielsachen ausgebreitet. Neben jedem Objekt lag ein kleiner Zettel, und darauf stand der Preis der Ware. Zudem hatten sie mehrere Trinkbecher aufgestellt und ein Gefäß mit Wasser sowie einen Karton Orangensaft. Der Orangensaft war mit 1 Euro ausgewiesen, während auf der Wasserkaraffe ein Zettel mit einer 2,– klebte.
Ich schaute mich um und dachte mir: »Mein Gott, es kann Ewigkeiten dauern, bis hier der nächste Kunde vorbeikommt.«
Was ich nicht gleich begriff, war, daß ich ja selbst der »nächste Kunde« war. Und tatsächlich sahen mich Simon und seine kleine Freundin erwartungsvoll an. Das Mädchen ließ ihren Arm über die ausgestellte Ware gleiten und empfahl mir: »Schauen Sie sich nur um, mein Herr.«
»Wie heißt du?« fragte ich sie.
»Sonja.«
»Hallo, Sonja«, sagte ich und erklärte ihr, wer ich war, nämlich der Vater des Jungen, neben dem sie saß. Und sagte ihr auch, daß er Simon heiße.
Sie aber meinte nur: »Auch wenn Sie sein Vater sind, können Sie doch trotzdem bei uns einkaufen. Oder?«
»Natürlich, Sonja, ich wollte nur …«
Ja, was? Ihr erklären, wieso Simon nicht redete. Oder nicht so, daß man ihn verstand. Für Sonja schien das aber nicht wirklich ein Problem zu sein. Sie war in erster Linie an ihrem Geschäft interessiert. Und wohl froh, dabei nicht allein in der Hitze hocken zu müssen. (Wobei es Unsinn war zu glauben, sie hätte sich mit jedem anderen Jungen ebenfalls hierher gesetzt, nur um nicht allein zu sein, so was taten Frauen erst, wenn sie älter waren, einen Irgendjemand dem Alleinsein vorzuziehen.)
Ich strich mir über die Stirn und sagte: »Also, vor allem habe ich Durst.«
»Wasser, Orangensaft pur oder Orangensaft gespritzt?«
Eigentlich hätte ich die Kleine darauf aufmerksam machen müssen, daß von »gespritzt« nur bei Mineralwasser die Rede sein konnte, nicht aber bei Leitungswasser, das war wohl eher »gemischt« zu nennen. Es war dann jedoch der merkwürdige Preisunterschied zwischen dem teuren Wasser und dem billigen Orangensaft, auf den ich sie
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