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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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eröffnete Mercedes das Gespräch, das seine Einladung begründet hatte.
    »Wieso denn? Sie haben mir von Ihrer Schwester auch nicht erzählt«, sagte ich. Nicht, daß ich wußte, ob er eine hatte oder nicht.
    Mercedes antwortete: »Ist meine Schwester denn in Ihren Träumen?«
    »Nein, das nicht.«
    »Eben. Ihre aber in meinen.«
    »Wie hätte ich ahnen können, daß sie bei Ihnen auftauchen wird?«
    »Hat sie denn nichts gesagt?«
    »Kein Wort«, beteuerte ich und stellte fest: »Sie will also Messerwerferin werden. Statt des Kletterns, das ihr alles bedeutet hat, als sie noch lebte.«
    »Ich glaube nicht«, meinte Mercedes, »daß es ein Ersatz fürs Bergsteigen sein soll. Es kommt mir nicht so vor, als wollte sie sich bloß ein neues Hobby aneignen.«
    »Im Ernst, lieber Herr Mercedes«, sagte ich, »worüber reden wir hier? Ich meine, was auch immer Astri tut oder nicht, sie ist tot. Und wird ganz sicher nicht auferstehen, um irgend jemanden mit einem Messer niederzustrecken. Was fürchten Sie? Daß man Ihnen die Unterstützung einer kriminellen Tat vorwerfen kann?«
    »Ihre Schwester mag tot sein. In meinen Träumen kommt sie mir aber sehr lebendig vor. Lebendig und fordernd. Sie kommt Nacht für Nacht. Wissen Sie, wie anstrengend das ist? Tatsächlich so, als würde man doppelt leben und nicht wirklich zum Schlafen kommen. Wer nicht schläft, wird verrückt. – Nein, ich will, daß Ihre Schwester verschwindet. Reden Sie mit ihr!«
    Ich erklärte ihm, daß ich derzeit keinen Kontakt hätte, mich zumindest an meine Träume nicht erinnern könne.
    »Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?« fragte Mercedes.
    Es wirkte so verzweifelt wie verärgert. Obgleich ihm Astri ja nicht in Form eines Alptraums erschien, sondern als Schülerin. Aber eben als eine, die er sich nicht ausgesucht hatte. So, wie er sich nie sein Publikum hatte aussuchen können.
    Ich erkannte die Müdigkeit in seinem Gesicht, die tiefen Einschnitte, als seien zu den Tagesfalten die Nachtfalten hinzugekommen und dadurch die Furchen in seinem Gesicht doppelt so tief.
    »Was mich zusätzlich irritiert«, meinte der Zerfurchte, »ist Ihre Behauptung von neulich, Herr Braun, ich hätte Sie in einem Ihrer Träume gerettet. Nicht wahr, das haben Sie doch gesagt? Davon weiß ich aber nichts.«
    »Ich schon«, sagte ich, »Sie haben zwei Typen die Kehle aufgeschlitzt.«
    »Reizend«, tönte Mercedes.
    »Es war der einzige Weg«, versicherte ich ihm. »Sie haben das Richtige getan. Die zwei hatten Gewehre, und sie wollten Kerstin mitnehmen. Ich glaube nicht, daß man mit denen hätte diskutieren können. – Sie haben mir in diesem Traum übrigens prophezeit, ich würde Geburtshelfer werden.«
    »Wieso das denn?«
    »Ja, das wollte ich auch von Ihnen wissen.«
    »Es ist nicht meine Art, Antworten schuldig zu bleiben«, erklärte Mercedes. »Jetzt abgesehen davon, daß es nicht meine Art ist, Kehlen aufzuschlitzen, von wem auch immer.«
    »Wie gesagt, es war eine gute Tat.«
    Wir schauten uns unsicher an. Dann tranken wir.
    »Gehen wir schlafen«, schlug Mercedes vor, »vielleicht sind wir nachher gescheiter.«
    Das war wohl der Grund dafür, daß er mich hierher eingeladen hatte. Er hoffte, daß meine Nähe etwas bewirkte. Denn wenn am Astri-Berg er in meinem Traum gewesen war, war es vielleicht möglich, daß ich nun in seinen geriet und dort mit Astri ein ernstes Wort sprechen konnte.

29
    Es war wohl diese hohe Erwartungshaltung, die es mit sich brachte, nicht einschlafen zu können. Ich drehte und wendete mich, als wollte ich an sämtlichen Stellen gleich knusprig werden. Und überall waren Geräusche: der ruhige Atem Kerstins neben mir, das entferntere Schnaufen Simons, der hier sein eigenes Bett hatte, der Wind, der die Büsche und Bäume zum Sprechen brachte. Vor allem aber vernahm ich die Stimme des Klaviers, diesen von einer vornehmen alten Dame angetriebenen schwarzen Flügel. Wobei ich mich schon sehr konzentrieren mußte, um zwischen den anderen Lauten auch die Musik zu hören. Vor allem das zweite und sechste Stück aus der Partita gefielen mir so gut, daß ich darauf wartete, bis sie innerhalb der Schleife erneut erklangen.
    Eine Schlafschleife war es nicht.
    Endlich stand ich auf, zog mich an und ging nach unten. Leise, und zwar nicht nur, um die anderen nicht zu wecken. Ich schlich mich an das Klavierzimmer heran, dessen Tür glücklicherweise angelehnt war, so daß ich lautlos den Spalt etwas vergrößern konnte und auf den großen

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