Der Allesforscher: Roman (German Edition)
erst bewußt wurde, Micks Nachnamen gar nicht zu kennen.
»Blumberg«, stellte er sich selbst vor.
»Wie der Bürgermeister von New York«, meinte Heinsberg.
»Nein, wie die Stadt im Schwarzwald«, sagte er.
Mir hingegen schien es amüsant, daß hier gleich zwei Menschen standen, deren Nachname mit »Berg« endete, und dies angesichts einer Welt aus künstlichen Felsen. Von dem gleichnamigen Schwimmbad unten im Tal einmal abgesehen.
In diesem Moment geschah aber noch etwas anderes, und dies war wirklich von Bedeutung. Eine Freundin von Mick trat zu uns, so daß sich eine erneute Runde gegenseitigen Bekanntmachens ergab. Dabei erwähnte Mick, ich sei der Vater von Simon. Simon, der bereits ungeduldig darauf wartete, eine weitere, diesmal sehr viel schwierigere Wand und Route hochzusteigen.
Micks Freundin kniete sich zu Simon hinunter und überprüfte seine Ausrüstung. Offenkundig würde sie diesmal die Sicherung am Seil übernehmen. Und dann sagte sie etwas, was mir einen Stich gab, sie sagte, indem sie sich zu mir hindrehte: »Man sieht sofort, daß er Ihr Sohn ist. Wie aus dem Gesicht geschnitten.«
Ich erwiderte: »Aber seine Augen sind schon andere, gell?«
»Anders geformt«, sagte sie, »aber derselbe Ausdruck. Das ist ja das Tolle. Wie man trotz eines solchen Unterschieds die große Ähnlichkeit erkennt. Die Gene setzen sich halt durch.«
Heinsberg lächelte mich an und meinte: »Na, was sage ich Ihnen immer? Vielleicht glauben Sie mir jetzt endlich.«
Mick, der um die wahren Verhältnisse, also die Adoption, ebensowenig wie seine Freundin wußte, stimmte zu. Er sagte: »Aber beim Klettern ist Ihr Sohn schon besser.«
Was dieser nun auch gleich bewies, indem er eine Wand in Angriff nahm, die in dieser Halle zu den schwersten zählte und welche bereits zu Beginn schräg nach innen führte und in der sich sodann ein Überhang an den anderen reihte. Eine Masochistenwand. Allein vom Hochsehen kriegte ich einen Stein im Magen. Eingedenk solcher Konstrukte stellte sich eigentlich weniger die Frage, wieso Menschen unter Höhenangst litten, sondern eher die, wieso manche nicht . Beziehungsweise wie es ihnen gelungen war, ihre Angst zu umgehen.
Die Frage, die sich aber vor allem aufdrängte, stellte jetzt Heinsberg: »Meine Güte, woher kann er das?«
Sie sah ungläubig zu, wie Simon zügig Meter um Meter hochkraxelte und in regelmäßigen Abständen das Seil in die fix montierten Expressen fügte, wobei er das Seil zuvor zwischen die Zähne zu nehmen pflegte.
Ich blickte Heinsberg vergnügt an und meinte: »Mag ja sein, daß er sein Gesicht von mir hat, aber die Lust am Vertikalen muß er seiner Mutter verdanken. Sie war immerhin Hirnforscherin. Vielleicht hat sie den Hirnlappen manipuliert, wo die Höhenangst einsitzt.«
»Das erklärt aber nicht, warum er sich so bewegt, wie er sich bewegt.«
»Richtig. Aber seine Vorgeschichte ist doch Ihr Fall, oder nicht?«
»Nun, er ist in den Bergen aufgewachsen«, konstatierte Heinsberg das Bekannte. »Und hatte dort offenkundig einen Lehrer. Ich stelle mir so was wie einen kletternden Mönch vor.«
»Das wäre dann filmreif«, fand ich, fragte aber endlich, was Heinsberg hier eigentlich tue.
»Na, ich besuche Sie«, sagte sie und erzählte, ein paar Tage bei ihren in den Vogesen lebenden Eltern verbracht zu haben. Während der Rückreise sei ihr die Idee gekommen, in Stuttgart vorbeizuschauen. Es sollte eine Überraschung sein.
»Es ist eine Überraschung«, sagte ich. Und ergänzte: »Eine schöne.«
Wie sich herausstellte, hatte eine meiner Nachbarinnen, eine ältere Dame und Witwe, Heinsberg verraten, wo ich zu finden sei. – Klar, Heinsberg besaß meine Handynummer und hätte sich also bei mir ankündigen können, aber ihr war wohl sehr am Effekt der Überraschung gelegen. Es schien ihr geliebtes Prinzip, mich zu überfallen.
»Müssen Sie dann gleich wieder weiter?« fragte ich.
»Ich habe morgen noch frei.«
»Dann bleiben Sie doch bei uns, heute abend, meine ich, finde ich. Wir könnten essen gehen, und ich besorge Ihnen ein Zimmer.«
»Haben Sie denn so wenig Platz zu Hause?«
»Nun, eigentlich … nein, genügend Platz.«
»Gut«, sagte sie, »dann kann ich mir gleich ansehen, wie Simon lebt.«
Mit einem Seufzer, halb gnädig, halb leidend, meinte ich, dem Jungen wohl demnächst einen Kletterraum einrichten zu müssen. Und sagte: »Meine Schwester hatte so einen.«
»Ihre Schwester?«
»Ja, sie war Bergsteigerin.«
»Na schauen Sie,
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