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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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weg, als daß ich ihn hätte hören können. Bezweifelte aber nicht, daß er auch jetzt in seiner Sprache verblieb. Das »Verstehen« zwischen Simon und Mick ergab sich quasi daraus, daß der Berg – und hier eben die Wand, die den Berg imitierte – ihnen als Übersetzer diente.
    Sie verstanden sich. Und wenn da zwei Tage zuvor eine Eifersucht gewesen war, war sie nun verschwunden. Statt dessen empfand ich eine große Zufriedenheit, mein Kind so zu sehen. In dieser normalen Situation kontrollierten Abenteuers.
    Eine Zufriedenheit, die eine halbe Stunde später allerdings dadurch unterbrochen wurde, indem Mick an mich herantrat, mich angrinste und verkündete: »Jetzt sind Sie aber wirklich mal dran, alter Mann.«
    Es war freundlich gemeint. Und fünfunddreißig war ja auch kein Alter. Aber was war denn ein Alter? Bis man auseinanderfiel? Oder nur noch aus einem einzigen Rückenschmerz bestand? Einem Rückenschmerz selbst noch in den Zehen?
    »Nein danke, ich will wirklich nicht«, antwortete ich ihm.
    Simon stand neben Mick und sah mich erwartungsvoll an. Mann, dieser Kinderblick in Form von Hundeaugen. Hunde und Kinder hat der liebe Gott geschaffen, uns schwach zu machen.
    Dennoch betonte ich erneut, das Klettern sei nichts für mich.
    »Hätten Sie einen Bierbauch und nur Speck an den Armen«, sagte Mick, »würde ich Sie nicht fragen. Aber Sie sind absolut fit, das sieht man.«
    »Ich bin Läufer. Meine Domäne ist die Horizontale.«
    »Man kann die Wand auch hochlaufen«, meinte Mick.
    »Ja danke, ein andermal.«
    Doch Mick gab nicht auf, erklärte, Simon würde es gefallen, wenn sein Vater sich ebenfalls im Klettern versuche.
    »Hat er Ihnen das gesagt?« fragte ich schnippisch.
    »Jeden Achtjährigen freut es, wenn die Eltern mitmachen.«
    »Das ist den Kindern eher peinlich«, argumentierte ich mich an den Rand.
    »Peinlich wird es erst später«, äußerte Mick. »Und auch nur darum, weil die Eltern zu faul sind, sich zu überwinden, und die Kinder aus der Not eine Tugend machen und sich damit rausreden, es sei eh alles total peinlich und sie würden das sowieso alles lieber ohne ihre Alten machen.«
    Sodann erzählte Mick, daß sein Vater ihn stets zum Klettern mitgenommen habe. Und später dann er den Vater.
    »Und heute?« Sogleich bereute ich die Frage. Was kam jetzt? Tod oder Rollstuhl?
    Gott sei Dank nichts davon. Mick sagte: »Wir gehen noch immer zusammen in die Berge. Nur in die Halle nicht, die mag der Papa nicht so gern.«
    Ich hätte jetzt erklären können: »Na, ich auch nicht.« Aber natürlich war es so, daß, wenn ich schon klettern mußte, dann lieber hier drinnen statt draußen, wo zu aller Unbill noch das Wetter kam.
    Wetter gab’s zwar auch beim Hürdenlauf, aber zwischen Hürde und zivilisierter Welt war ein viel kürzerer Weg als vom Gebirge zum nächsten Taxistand.
    Ich gab mich geschlagen. Stand auf und seufzte.
    »Super!« jubelte Mick und holte einen Gurt, den er mir um Bauch und Beine legte und mittels Seil sich und mich in der üblichen Weise verschnürte.
    Ich schaute zu Simon. Er hob anerkennend den Daumen. Sein Lächeln war eine kleine, feine Schlagzeile, etwas wie: Sparzinsen steigen wieder .
    »Viel Glück«, gab Mick den Startschuß.
    Aber das hier war keine Frage des Glücks. Ebensowenig der Beine oder Arme, die in gutem Zustand waren. Sondern der Nerven.
    Meine Höhenangst war gewissermaßen auch eine Schwesternangst.
    Ich hatte in all den Jahren so gut wie nie an Astri gedacht. Ihren Tod verdrängt wie auch die Erinnerung an sie. Erst recht in den Momenten, da ich bei den Eltern gewesen war. Wenn Erinnerung, dann eine, die rasch vorbeihuschte. Doch als ich nun begann, die Finger meiner Hände und die Spitzen meiner Füße auf die Griffe und Tritte zu fügen, und mich im übrigen so eng als möglich an die Wand drückte, da meinte ich … ja, ich spürte Astri. Nicht in einer übersinnlichen Weise, da war kein Geist, der in mich fuhr. Vielmehr blieb jene Erinnerung, die üblicherweise vorbeizuhuschen pflegte, direkt neben mir stehen – massiv wie die Wand, die senkrecht vor mir aufragte.
    »Nehmen Sie jedes Element, das sich anbietet«, empfahl Mick hinter mir. »Gleich welche Farbe.«
    »Nichts anderes habe ich vor«, antwortete ich, gegen die Wand sprechend.
    »Und vergessen Sie nicht Ihre Beine. Sie besitzen kräftige Arme, Herr Braun, aber mit denen allein kommen Sie nicht hoch. Der ganze Körper soll nach oben.«
    »Ja«, sagte ich und begann zu klettern, und

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