Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Wochenende dorthin, wo deine Schwester gestorben ist«, sagte sie. »Wir legen Blumen an den Berg. Zehn Jahre ist lang, aber zu spät ist es trotzdem nicht. Es wird dir guttun, an deine Schwester zu denken, es wird Simon guttun, einen echten Berg zu sehen, und mir auch, wenn ich mit euch zusammen bin. Oder findest du das schlecht, wenn wir zusammen sind?«
    Ich beugte mich vor und gab ihr eine Antwort auf die Lippen.



16

    Eine Zeitschrift hatte einmal geschrieben: Er ist der Mann, der die Schönheit pflegt .
    Der, über den man solches sagte, saß am Strand und blickte hinaus aufs Meer. Eine ruhige See an diesem Tag. Die Brandung ein kleines Seufzen. Wellen, die sanft aufs Land trafen gleich todmüden Kindern, die über einem Polster einnicken. Freilich konnte dieses große Wasser auch ganz anders. Das hatte er oft genug erlebt.
    Er entschied sich. Und zwar zur Vorsicht.
    Er entschied sich, das Meer zu verlassen und in die Berge zu gehen. Und damit auch hinüber nach Europa, das auf der anderen Seite dieser Kugel lag, die man die Erde nannte und von der gesagt wurde, sie sei vom Weltraum aus so schön anzusehen. – Schöner als Jupiter? Schöner als Saturn? Nur weil sie blau war, aber ohne Ring auskam und einen grauen Mond besaß?
    Sein Name war Auden Chen, geboren im Norden Taiwans, in Keelung, als Sohn eines Lehrerehepaars, die beide Englisch unterrichteten und kurz nach der Geburt des Sohnes nach Amerika gezogen waren. Er besaß auch einen chinesischen Vornamen, den er aber so gut wie nie verwendete, sondern allein den englischen: Auden. Stimmt, das war kein Vor-, sondern ein Nachname. Doch die Begeisterung seiner Eltern für die Gedichte des zuerst englischen und dann amerikanischen und schließlich in Österreich begrabenen Dichters W.H. Auden glich einer Besessenheit. Die beiden kannten so gut wie jeden Satz, den Auden geschrieben hatte, und nicht wenige von denen, die aus den Federn von Audens Freunden stammten. Mitunter warfen sich Herr und Frau Chen kleine Gedichtbrocken gleich Handküssen zu. Darum war es ihnen ungemein wichtig, ihre Liebe zur Audenschen Poesie im eigenen Kind zu manifestieren. Das mochte zwar ähnlich egoistisch sein wie Leute, die ihren Nachwuchs nach Schauspielern, Zeichentrickfiguren, berühmten Indianern oder nach Waschmitteln benannten, aber immerhin ergab sich daraus ein ausgesprochener Wohlklang: Auden Chen.
    Ein Name, als würde ein Engel mit den Fingern schnippen.
    Naturgemäß hatte Auden später nur zwei Möglichkeiten: die Literatur Audens zu hassen oder sie zu lieben. Selbige einfach zu ignorieren erschien unmöglich. Er entschied sich für die Liebe. Wie er sich in vielen Fragen für sie entschied. Er tendierte mit auffälliger Hingabe dazu, eine bestimmte Sache gut zu finden, sich in etwas zu vernarren oder an einem häßlichen Ding einen Vorzug zu entdecken. Wobei er keineswegs der idiotische Das-Glas-ist-halb-voll-Interpret war. Er erkannte durchaus den leeren Teil eines Glases und wie sehr diese Leere auf die Vergänglichkeit des halbvollen Restes verwies, doch zählte er zu denen, die bei alldem auch das Glas wahrnahmen, die Feinheit und Beständigkeit eines transparenten Gefäßes, innerhalb dessen sich die Dramen des Halbleeren und Halbvollen abspielten. Er war somit weder ein Halbvoll- noch ein Halbleermensch, sondern ein Glasmensch. Religiös auf eine ästhetische Weise. Er bekannte sich zum Christentum, zu einem Schöpfergott, der keine perfekte, aber eine interessante Welt geschaffen hatte. Daß in ihr der Mensch wütete, übersah Auden nicht, ließ sich aber davon den Blick aufs Leben nicht verderben.
    Bei solcher Einstellung und einem solchen Vornamen war es freilich unmöglich, Waffenhändler oder etwas ähnliches zu werden. Er wurde Chemiker, womit man natürlich auch einigen Schaden anrichten kann. Was er aber nicht tat. Noch während seines Studiums begann er, in einem kleinen Privatlabor mit natürlichen Essenzen zu arbeiten und eine Palette neuartiger Hautcremes zu entwickeln. Er ließ sein Studium unbeendet, zog zwanzigjährig in das Land seiner Geburt und gründete in Taipeh ein Unternehmen, dem er den Namen KAI gab, was ausgeschrieben Kallman, Auden & Isherwood bedeutete und nach dem Schriftsteller und seinen beiden Kollegen und Liebhabern benannt war. Übrigens war Auden, unser Auden, kein bißchen schwul. Mit seinen Cremes freilich erfreute er Männer wie Frauen. Unter dem Namen KAI und einem Logo, das sich aus zwei gekreuzten Streifen von grünem

Weitere Kostenlose Bücher