Der alte Mann und das Meer
alte Mann. »Aber ich kenne allerhand Schliche, und ich habe
resolución
.«
»Du mußt jetzt schlafen gehen, damit du morgen früh frisch bist. Ich bring die Sachen in die ›Terrasse‹ zurück.
»Also dann gute Nacht. Ich hol dich morgen früh.«
»Du bist meine Weckuhr«, sagte der Junge.
»Das Alter ist meine Weckuhr«, sagte der alte Mann. »Warum wachen alte Leute so früh auf? Ist es, um einen längeren Tag zu haben?«
»Ich weiß nicht«, sagte der Junge. »Ich weiß nur, daß Jungens wie ich lange und fest schlafen.«
»Ich kann mich daran erinnern«, sagte der alte Mann. »Ich werde dich zur Zeit wecken.«
»Ich mag nicht, wenn er mich wecken kommt. Es ist, als ob er mir überlegen ist.«
»Ich weiß.«
»Schlaf wohl, Alter.«
Der Junge ging hinaus. Sie hatten beim Essen kein Licht auf dem Tisch gehabt, und der alte Mann zog seine Hose aus und ging im Dunkeln zu Bett.
Er rollte seine Hose zu einem Kissen zusammen und steckte die Zeitung hinein.
Er rollte sich in die Decke und schlief auf den andern alten Zeitungen, die die Sprungfedern des Bettes bedeckten.
Kurze Zeit darauf war er eingeschlafen, und er träumte von Afrika, als er ein Junge war, und den langen, goldgelben Ufern und den weißen Ufern, die so weiß waren, daß einem die Augen weh taten, und den hohen Vorgebirgen und den großen, braunen Bergen. Jede Nacht lebte er jetzt an dieser Küste, und in seinen Träumen hörte er das Brausen der Brandung und sah die Boote der Eingeborenen durch sie hindurchfahren. Während er schlief, roch er vom Deck Teer und Werg, und er roch den Geruch von Afrika, den der Landwind morgens brachte.
Gewöhnlich wachte er auf, wenn er den Landwind roch, und zog sich an, um hinaufzugehen und den Jungen zu wecken. Aber in dieser Nacht kam der Landwind sehr früh, und er wußte, daß es zu früh in seinem Traum war, und er fuhr fort zu träumen und sah, wie die weißen Höhen der Inseln sich aus dem Meer erhoben, und dann träumte er von den verschiedenen Häfen und Reeden der Kanarischen Inseln. Er träumte nicht mehr von Stürmen oder von Frauen, noch von großen Ereignissen, noch von großen Fischen, noch Kämpfen und Kraftproben, noch von seiner Frau. Er träumte jetzt nur noch von Orten und Gegenden und von den Löwen am Ufer. Sie spielten wie junge Katzen in der Dämmerung, und er liebte sie, wie er den Jungen liebte. Er träumte niemals von dem Jungen. Er wachte einfach auf, blickte durch die offene Tür nach dem Mond und rollte seine Hose auseinander und zog sie an. Er urinierte draußen vor der Hütte und ging dann die Landstraße hinauf, um den Jungen zu wecken. Er zitterte in der Morgenkälte. Aber er wußte, er würde sich warm zittern, und bald würde er rudern.
Die Tür des Hauses, in dem der Junge wohnte, war unverschlossen, und er öffnete sie und ging auf nackten Füßen leise hinein. Der Junge schlief auf einem Lager im ersten Zimmer, und der alte Mann konnte ihn in dem Licht, das von dem schwindenden Mond hineindrang, deutlich sehen. Er nahm behutsam seinen einen Fuß in die Hand und hielt ihn fest, bis der Junge aufwachte und sich umdrehte und ihn anblickte. Der alte Mann nickte, und der Junge nahm seine Hose vom Stuhl neben seinem Bett und zog sie, auf dem Bett sitzend, an.
Der alte Mann ging zur Tür hinaus, und der Junge folgte ihm. Er war verschlafen, und der alte Mann legte ihm den Arm um die Schultern und sagte:
»Es tut mir leid.«
»Qué va«
, sagte der Junge. »Ein Mann muß das eben.«
Sie gingen die Landstraße hinunter bis zu der Hütte des alten Mannes, und die ganze Straße entlang im Dunkeln bewegten sich barfüßige Männer, die die Masten ihrer Boote trugen.
Als sie in der Hütte des alten Mannes angelangt waren, nahm der Junge den Korb mit den aufgeschossenen Angelleinen und die Harpune und den Fischhaken, und der alte Mann trug den Mast mit dem zusammengerollten Segel auf der Schulter.
»Möchtest du Kaffee trinken?« fragte der Junge.
»Wir wollen die Sachen ins Boot legen und dann welchen trinken.«
Sie tranken ihren Kaffee aus Kondensmilchdosen in einem Ausschank, den die Fischer frühmorgens benutzten.
»Wie hast du geschlafen, Alter?« fragte der Junge. Er wachte jetzt auf, obwohl es ihm immer noch schwerfiel, aus seinem Schlaf herauszufinden.
»Sehr gut, Manolin«, sagte der alte Mann. »Ich hab heute ein zuversichtliches Gefühl.«
»Ich auch«, sagte der Junge. »Jetzt muß ich deine und meine Sardinen holen und deinen frischen Köder. Er bringt
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