Bücher, Aktenordner und Zeitschriftenstapel. Auch der große alte Schreibtisch ist überhäuft mit Papierkram. Da hat der aber schon lange nicht mehr dran gearbeitet, der Herr Kollege! Nur noch abgelegt! Wie soll man hier korrigieren oder etwas vorbereiten? Das Gerücht, dass Wernitzki nicht viel für den Unterricht macht, scheint zu stimmen. Aber mir soll’s recht sein, ich pack den Messerblock einfach unter den Papierwust. So. Und was haben wir da? Sieht nach Rechnungen aus, ja, das sind Rechnungen, Bankauszüge, Versicherungspolicen, Mahnungen – alles kunterbunt. Meine Güte, heftet der nie etwas ab? Aber vielleicht stand ihm der Kopf in letzter Zeit nicht danach – würde mich nicht wundern. Wenn der wirklich Günthers Mörder ist – und es sieht ja ganz danach aus –, dann ging es ihm bestimmt sauschlecht. Dann hat er sich hier in seiner trostlosen Höhle verkrochen und war depressiv. Und in der Schule hat er sich tierisch zusammengerissen und all seine Kraft darauf verwandt, betont munter zu wirken. Er tut mir direkt ein bisschen leid … Andererseits! Wer weiß, wozu der fähig ist? Ob es so klug ist, Frau Freitag mit dem so lange alleine zu lassen?
Upps, beinahe wären diese Zettel hier alle vom Schreibtisch gerutscht. Man kann sich ja kaum bewegen, ohne dass was runterfällt.
Ausgedruckte E-Mails sind das. Wozu druckt der sich E-Mails aus, wenn er sie doch nicht abheftet?
Mein Blick fällt auf das Wort «Rose» … Rose … ich bleibe gebannt stehen und angele den Zettel vorsichtig heraus. Als er vor mir liegt, horche ich angestrengt: Kommt jemand? Nein, alles ruhig.
Ich lese:
Altmann
wir wissen was du gemacht hast. bald heiratet dein Rose. Ihr man wird sich freun über dein gruß in hochzeitnacht. Wenn du nicht willst, das er merckt, das du das warst, dann lege dein ganses Geld bereit. Wenn du nicht tust, wird Mann von deine Rose infomiert, das du verhältnis mit seine Rose hattest und dann er wird zu polizei gehen und zu Schulrat. Du bekommst Gericht und bist nicht mer Lehrer! Also denk dran, such dein ganses Geld zusammen. Wir melden uns balt wider!
Das ist doch das Erpresserschreiben! Das ist das komplette Erpresserschreiben, von dem Frau Freitag den abgerissenen Anfang in Günthers, nein, meinem Schränkchen in der Biosammlung gefunden hat.
Das war also auch der Wernitzki! Ein ganz schäbiger Versuch, den Günther in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber der scheint ja davon nicht sonderlich beeindruckt gewesen zu sein. Wie ist denn die E-Mail-Adresse?
Cananrä
[email protected] Natürlich, seine eigene Adresse konnte der ja schlecht nehmen.
Wernitzki – ein Erpresser! Ein Mörder! Ich bin wie gelähmt. Obwohl, weshalb eigentlich? Passt doch alles zusammen.
Ich falte den Zettel und stecke ihn in die Hosentasche. Wenn das so weitergeht, bin ich demnächst eine wandelnde Asservatenkammer.
So und jetzt schnell wieder rüber zu Frau Freitag!
«Da bin ich wieder!» Ich schiebe mich auf die Couch. Da habe ich das ganze Zimmer am besten im Blick. Frau Freitag sitzt angespannt auf ihrem Stuhl und fixiert Hannes. Er scheint geweint zu haben, denn er wischt sich mit dem Handrücken über die Wangen und starrt auf den Boden.
«Sehr schön, Frl. Krise», sagt Frau Freitag in ungewohnt sanftem Ton. Immer noch ganz der Good Cop. «Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass du ins Klo gefallen bist. Wusstest du, was für ein mieser Typ der Altmann war? Was der Hannes mir gerade alles erzählt hat!»
«Ja, weiß ich, dass der nicht der Netteste war! Aber du bist auch nicht von schlechten Eltern, Hannes!»
Hannes hebt den Kopf und schaut mich trübe an. «Was meinst du damit, Frl. Krise?»
«Hier! Ich sage nur Erpressung! Auch nicht gerade ein Kavaliersdelikt! Guck mal, Frau Freitag!» Ich angele die E-Mail aus der Hosentasche.
«Zeig mal! Ach, das ist doch … Wie kommt das denn hierher? Und wer sind Canans Rächer?»
«Frag mal den Hannes! Das hast doch du geschrieben, Hannes, oder?»
«Ach das, das war, na … also, ich war so sauer auf den Altmann, und ich hatte da was gefunden. Auf seinem Computer», sagt Hannes.
«Was hattest du gefunden? Und wie kamst du überhaupt an die Dateien auf Günthers PC ?»
«Wenn der Altmann eines nicht konnte, dann war das mit Computern umgehen.» Hannes strafft sich und haut leicht mit der Faust auf den Tisch. «Der war doch zu blöde, um irgendwas richtig abzuspeichern. Sein Rechner in der Schule war dauernd kaputt, ich habe den immer mal wieder in