Der Altmann ist tot: Frl. Krise und Frau Freitag ermitteln
Polizei, ich hab das doch auch gar nicht so gemeint mit der Polizei … ich dachte … ihr … ihr …», stammelt er.
«Was iss ’n da unten los, Wernitzki? Ha’m die wat jeklaut oder wie?» Aus einem Badezimmerfenster im ersten Stock des Hinterhauses beugt sich ein Mann weit heraus.
«Äh … nein, nein, ist schon gut, Herr Niedermayer, alles in Ordnung, ist alles … hat sich alles … ist alles okay!»
«Ick höre zufällisch wat von Polizeiholen …»
«Nein, lassen Sie nur! Ein Missverständnis! Hat sich schon aufgeklärt!»
«Na, denn is ja jut! Ick dachte schon! Man weeß ja nie heuzutage! Denn jute Nacht ooch!»
«Ja, gute Nacht, Herr Niedermayer, gute Nacht!»
Herr Niedermayer schließt knallend das Fenster.
«Jetzt werden schon die Nachbarn aufmerksam! Wir könnten … wir könnten ja raufgehen … zu mir!» Wernitzki sieht uns flehend an. «Ich kann euch alles erklären, es ist nicht so, wie ihr …»
Frau Freitag und ich wechseln einen Blick. Was gibt’s da zu erklären? Und raufgehen? Zu dem in die Wohnung? Klingt mir nach keiner besonders guten Idee. Wer weiß, was der da mit uns macht? Nachher bedroht der uns noch mit einem Brotmesser.
«Lass uns lieber verschwinden!», sagt Frau Freitag und formt mit ihren Lippen lautlos das Wort Polizei. Ich nicke.
Wernitzki breitet beide Arme aus, um uns aufzuhalten. In seinen Augen stehen Tränen.
«Kommt doch mit hoch, bitte! Ich kann euch alles erklären. Wirklich! Es ist alles ganz anders … Ihr müsst mir glauben! Nicht zur Polizei!» Beim Wort Polizei schluchzt er laut auf.
Ach, du Schande! Was ist denn jetzt los? Der ist ja auf einmal fix und fertig. Wie ein Häuflein Elend steht er da, seine Schultern zucken, und Tränen laufen über seine Wangen.
Ganz das alte Weichei Wernitzki!
«Frau Freitag! Frl. Krise! Bitte … bitte!», stößt er hervor.
«Hm, na ja …», sagt Frau Freitag zögernd, «sollen wir …?»
«Na schön!» Ich bin zwar nicht begeistert von der Idee – aber was soll schon groß passieren da oben, wir sind zu zweit, und der Wernitzki ist völlig am Ende. Was soll der uns schon tun? Vielleicht bekommen wir ja jetzt alles aus ihm heraus, wenn wir mitgehen. Das wäre der Hammer!
«Okay! Du wohnst im dritten Stock, oder? Aber der Kinderwagen! Den können wir nicht hier stehen lassen!» Wer weiß, ist vielleicht gar nicht so dumm, den Bolzenschneider dabeizuhaben. Als Waffe! Könnte von Vorteil sein, falls es doch noch hart auf hart kommt.
Wernitzki atmet tief durch und wischt sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht.
Frau Freitag stößt die Tür auf, und ich schiebe den Wagen in den Flur.
«Hier, pack du auch mal an, Hannes!», kommandiere ich. Während die beiden den Wagen hochtragen, will ich den Saab-Schlüssel besser verstauen. Bloß, wohin damit? Ich angele das Schlüsselmäppchen aus der Hosentasche, öffne meinen Mantel und stopfe es unauffällig unter den Pullover in den BH . Gut! Hier ist es sicher! Alles noch ein bisschen zurechtrücken, und niemand wird etwas davon bemerken. An die Wäsche wird uns der Wernitzki ja wohl nicht wollen. Im Gegenteil, er ist ganz kleinlaut, und auf dem ersten Absatz nimmt er sogar geradezu demütig Frau Freitag den Wagen aus der Hand und schleppt ihn die Treppenstufen alleine hoch. Ob der sich nicht wundert, dass der Wagen ohne Baby so schwer ist? Aber er sagt nichts.
Vernichtet
Wernitzki schließt seine Wohnungstür auf und lässt uns vorgehen. Im Flur brennt ein trübes Deckenlicht, und Frau Freitag stolpert gleich über einen Fahrradkorb, in dem ein paar Gepäckspanner liegen.
«Vorsicht, Entschuldigung, es ist nicht aufgeräumt, ich dachte ja nicht, dass ich noch Besuch … Geht durch, das Wohnzimmer ist ganz hinten!»
Im Wohnzimmer läuft ein riesiger Fernseher – Flachbildschirm natürlich. Irgendeine Nachrichtensendung. Die dunkelblauen Vorhänge sind zugezogen, nur eine kleine Stehlampe brennt.
«Setzt euch doch bitte.»
Ist das eine unstylische Bude! Altbau, aber von der unschönen Art, zwar mit hohen Wänden, aber ohne Stuck und Dielenfußboden. Zwei Billyregale mit Taschenbüchern, ein abgewetztes braunes Zweisitzersofa, zwei ebenso olle Sessel, ein Couchtisch mit gekachelter Oberfläche, drei Polsterstühle und ein dunkler Holztisch ohne Tischdecke. Überall liegen Zeitungen herum, eine graue Wolldecke ist neben einem Paar Turnschuhe auf die Auslegware von undefinierbarer Farbe gefallen, und auf dem Kacheltisch stehen zwei leere Bierflaschen,
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