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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ohne Mühe die Träger und den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden. Daß gleichzeitig in einer andern Notiz kurz erwähnt wurde, es sei die Leiche eines etwa vierzigjährigen Mannes im Hafen angeschwemmt worden, schien für die Öffentlichkeit in keinem Zusammenhang mit dem romantisch reportierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum daß ich die flüchtige Zeile gelesen, als starre plötzlich hinter dem papierenen Blatt das mondweiße Antlitz mit den glitzernden Brillengläsern mir noch einmal gespenstisch entgegen.

 
    Die Frau und die Landschaft
    Es war in jenem heißen Sommer, der durch Regennot und Dürre verhängnisvolle Mißernte im ganzen Lande verschuldete und noch für lange Jahre im Andenken der Bevölkerung gefürchtet blieb. Schon in den Monaten Juni und Juli waren nur vereinzelte flüchtige Schauer über die dürstenden Felder hingestreift, aber seit der Kalender zum August übergeschlagen, fiel überhaupt kein Tropfen mehr, und selbst hier oben, in dem Hochtale Tirols, wo ich, wie viele andere, Kühlung zu finden gewähnt hatte, glühte die Luft safranfarben von Feuer und Staub. Frühmorgens schon starrte die Sonne gelb und stumpf wie das Auge eines Fiebernden vom leeren Himmel auf die erloschene Landschaft, und mit den steigenden Stunden quoll dann mählich ein weißlicher drückender Dampf aus dem messingenen Kessel des Mittags und überschwülte das Tal. Irgendwo freilich in der Ferne hoben sich die Dolomiten mächtig auf, und Schnee glänzte von ihnen, rein und klar, aber nur das Auge fühlte erinnernd diesen Schimmer der Kühle, und es tat weh, sie schmachtend anzusehen und an den Wind zu denken, der sie vielleicht zur gleichen Stunde rauschend umflog, indes hier im Talkessel eine gierige Wärme nachts und tags sich zudrängte und mit tausend Lippen einem die Feuchte entsog. Allmählich erstarb in dieser sinkenden Welt welkender Pflanzen, hinschmachtenden Laubes und versiegender Bäche auch innen alle lebendige Bewegung, müßig und träge wurden die Stunden. Ich, wie die andern, verbrachte diese endlosen Tage fast nur mehr im Zimmer, halb entkleidet, bei verdunkelten Fenstern, in einem willenlosen Warten aufVeränderung, auf Kühlung, in einem stumpfen, machtlosen Träumen von Regen und Gewitter. Und bald wurde auch dieser Wunsch welk, ein Brüten, dumpf und willenlos wie das der lechzenden Gräser und der schwüle Traum des reglosen, dunstumwölkten Waldes.
    Aber es wurde nur noch heißer von Tag zu Tag, und der Regen wollte noch immer nicht kommen. Von früh bis abends brannte die Sonne nieder, und ihr gelber, quälender Blick bekam allmählich etwas von der stumpfen Beharrlichkeit eines Wahnsinnigen. Es war, als ob das ganze Leben aufhören wollte, alles stand stille, die Tiere lärmten nicht mehr, von weißen Feldern kam keine andere Stimme als der leise singende Ton der schwingenden Hitze, das surrende Brodeln der siedenden Welt. Ich hatte hinausgehen wollen in den Wald, wo Schatten blau zwischen den Bäumen zitterten, um dort zu liegen, um nur diesem gelben, beharrlichen Blick der Sonne zu entgehen; aber auch diese wenigen Schritte schon wurden mir zu viel. So blieb ich sitzen auf einem Rohrsessel vor dem Eingang des Hotels, eine Stunde oder zwei, eingepreßt in den schmalen Schatten, den der schirmende Dachrand in den Kies zog. Einmal rückte ich weiter
    , als das dünne Viereck Schatten sich verkürzte und die Sonne schon heran an meine Hände kroch, dann blieb ich wieder hingelehnt, stumpf brütend ins stumpfe Licht, ohne Gefühl von Zeit, ohne Wunsch, ohne Willen. Die Zeit war zerschmolzen in dieser furchtbaren Schwüle, die Stunden zerkocht, zergangen in heißer, sinnloser Träumerei. Ich fühlte nichts als den brennenden Andrang der Luft außen an meinenPoren und innen den hastigen Hammerschlag des fiebrig pochenden Blutes.
    Da auf einmal war mir, als ob durch die Natur ein Atem ginge, leise, ganz leise, als ob ein heißer, sehnsüchtiger Seufzer sich aufhübe von irgendwo. Ich raffte mich empor. War das nicht Wind? Ich hatte schon vergessen, wie das war, zu lange hatten die verdorrenden Lungen dies Kühle nicht getrunken, und noch fühlte ich ihn nicht bis an mich heranziehen, eingepreßt in meinen Winkel Dachschatten; aber die Bäume dort drüben am Hang mußten eine fremde Gegenwart geahnt haben, denn mit einem Male begannen sie ganz leise zu schwanken, als neigten sie sich flüsternd

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