Der Amokläufer
Tiefe gegen den tiefen Himmel gewandt. Nur nach oben griff seine Gier, griff tief in die geballten Wolken, in das überhängende Gewitter, und an mich rührte er nicht. So konnte ich ungestört die Fremde betrachten und sah, wie ihre Brust sich hob, wie etwas würgend nach oben schütterte, wie jetzt um die Kehle, die zartknochig aus dem offenen Kleide sich löste, ein Zittern ging, bis endlich auch die Lippen bebten, dürstend sich auftaten und wieder sagten: »Wenn es doch nur schon regnen wollte.« Und wieder war es mir Seufzer der ganzen verschwülten Welt. Etwas Nachtwandlerisches und Traumhaftes war in ihrer statuenhaften Gestalt, in ihrem gelösten Blick. Und wie sie so dastand, weiß in ihrem lichten Kleide gegen den bleifarbnen Himmel, schien sie mir der Durst, die Erwartung der ganzen schmachtenden Natur.
Etwas zischte leise neben mir ins Gras. Etwas pickte hart auf dem Gesims. Etwas knirschte leise im heißen Kies. Überall war plötzlich dieser leise surrende Ton. Und plötzlich begriff ichs, fühlte ichs, daß dies Tropfen waren, die schwer niederfielen, die ersten verdampfenden Tropfen, die seligen Boten des großen, rauschenden, kühlenden Regens. Oh, es begann! Es hatte begonnen. Eine Vergessenheit, eine selige Trunkenheitkam über mich. Ich war wach wie nie. Ich sprang vor und fing einen Tropfen in der Hand. Schwer und kalt klatschte er mir an die Finger. Ich riß die Mütze ab, stärker die nasse Lust auf Haar und Stirn zu fühlen, ich zitterte schon vor Ungeduld, mich ganz umrauschen zu lassen vom Regen, ihn an mir zu fühlen, an der warmen knisternden Haut, in den offenen Poren, bis tief hinein in das aufgeregte Blut. Noch waren sie spärlich, die platschenden Tropfen, aber ich fühlte ihre sinkende Fülle schon voraus, ich hörte sie schon strömen und rauschen, die aufgetanen Schleusen, ich spürte schon das selige Niederbrechen des Himmels über dem Walde, über das Schwüle der verbrennenden Welt.
Aber seltsam: die Tropfen fielen nicht schneller. Man konnte sie zählen. Einer, einer, einer, einer, fielen sie nieder, es knisterte, es zischte, es sauste leise rechts und links, aber es wollte nicht zusammenklingen zur großen rauschenden Musik des Regens. Zaghaft tropfte es herab, und statt schneller zu werden, ward der Takt langsam und immer langsamer und stand dann plötzlich still. Es war, wie wenn das Ticken eines Minutenzeigers in einer Uhr plötzlich aufhört und die Zeit erstarrt. Mein Herz, das schon glühte vor Ungeduld, wurde plötzlich kalt. Ich wartete, wartete, aber es geschah nichts. Der Himmel blickte schwarz und starr nieder mit umdüsterter Stirn, totenstill blieb es minutenlang, dann aber schien es, als ob ein leises, höhnisches Leuchten über sein Antlitz ginge. Von Westen her hellte sich die Höhe auf, die Wand der Wolken löste sich mählich, leise polternd rollten sie weiter. Seichter und seichter wardihre schwarze Unergründlichkeit, und in ohnmächtiger, unbefriedigter Enttäuschung lag unter dem erglänzenden Horizont die lauschende Landschaft. Wie von Wut lief noch ein leises, letztes Zittern durch die Bäume, sie beugten und krümmten sich, dann aber fielen die Laubhände, die schon gierig aufgereckt waren, schlaff zurück, wie tot. Immer durchsichtiger ward der Wolkenflor, eine böse, gefährliche Helle stand über der wehrlosen Welt. Es war nichts geschehen. Das Gewitter hatte sich verzogen.
Ich zitterte am ganzen Körper. Wut war es, was ich fühlte, eine sinnlose Empörung der Ohnmacht, der Enttäuschung, des Verrats. Ich hätte schreien können oder rasen, eine Lust kam mich an, etwas zu zerschlagen, eine Lust am Bösen und Gefährlichen, ein sinnloses Bedürfnis nach Rache. Ich fühlte in mir die Qual der ganzen verratenen Natur, das Lechzen der kleinen Gräser war in mir, die Hitze der Straßen, der Qualm des Waldes, die spitze Glut des Kalksteines, der Durst der ganzen betrogenen Welt. Meine Nerven brannten wie Drähte: ich fühlte sie zucken von elektrischer Spannung weithinaus in die geladene Luft, wie viele feine Flammen glühten sie mir unter der gespannten Haut. Alles tat mir weh, alle Geräusche hatten Spitzen, alles war wie umzüngelt von kleinen Flammen, und der Blick, was immer er faßte, verbrannte sich. Das tiefste Wesen in mir war aufgereizt, ich spürte, wie viele Sinne, die sonst stumm und tot im dumpfen Hirne schliefen, sich auftaten wie viele kleine Nüstern, und mit jeder spürte ich Glut. Ich wußte nicht mehr, was davonmeine Erregung war,
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