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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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und was die der Welt; die dünne Membran des Fühlens zwischen ihr und mir war zerrissen, alles einzig erregte Gemeinschaft der Enttäuschung, und wie ich fiebernd hinabstarrte in das Tal, das sich allmählich mit Lichtern füllte, spürte ich, daß jedes einzelne kleine Licht in mich hineinflimmerte, jeder Stern brannte bis in mein Blut. Es war die gleiche maßlose, fiebernde Erregung außen und innen, und in einer schmerzhaften Magie empfand ich alles, was um mich schwoll, gleichsam in mich gepreßt und dort wachsend und glühend. Mir war, als brenne der geheimnisvolle, lebendige Kern, der in alle Vielfalt einzeln eingetan ist, aus meinem innersten Wesen, alles spürte ich, in magischer Wachheit der Sinne den Zorn jedes einzelnen Blattes, den stumpfen Blick des Hundes, der mit gesenktem Schweife jetzt um die Türen schlich, alles fühlte ich, und alles, was ich spürte, tat mir weh. Fast körperlich begann dieser Brand in mir zu werden, und als ich jetzt mit den Fingern nach dem Holz der Tür griff, knisterte es leise unter ihnen wie Zunder, brenzlig und trocken.
    Der Gong lärmte zur Abendmahlzeit. Tief in mich schlug der kupferne Klang hinein, schmerzhaft auch er. Ich wendete mich um. Wo waren die Menschen hin, die früher hier in Angst und Erregung vorbeigeeilt? Wo war sie, die hier gestanden als lechzende Welt und der ich ganz vergessen in den wirren Minuten der Enttäuschung? Alles war verschwunden. Ich stand allein in der schweigenden Natur. Noch einmal umgriff ich Höhe und Ferne mit dem Blick. Der Himmel warjetzt ganz leer, aber nicht rein. Über den Sternen lag ein Schleier, ein grünlich gespannter, und aus dem aufsteigenden Mond glitzerte der böse Glanz eines Katzenauges. Fahl war alles da oben, höhnisch und gefährlich, tief drunten aber unter dieser unsicheren Sphäre dämmerte dunkel die Nacht, phosphoreszierend wie ein tropisches Meer und mit dem gequälten wollüstigen Atem einer enttäuschten Frau. Oben stand noch hell und höhnisch eine letzte Helle, unten müde und lastend eine schwüle Dunkelheit, feindlich war eines dem andern, unheimlich stummer Kampf zwischen Himmel und Erde. Ich atmete tief und trank nur Erregung. Ich griff ins Gras. Es war trocken wie Holz und knisterte blau in meinen Fingern.
    Wieder rief der Gong. Widerlich war mir der tote Klang. Ich hatte keinen Hunger, kein Verlangen nach Menschen, aber diese einsame Schwüle hier draußen war zu fürchterlich. Der ganze schwere Himmel lastete stumm auf meiner Brust, und ich fühlte, ich könnte seinen bleiernen Druck nicht länger mehr tragen. Ich ging hinein in den Speisesaal. Die Leute saßen schon an ihren kleinen Tischen. Sie sprachen leise, aber doch, mir war es zu laut. Denn mir ward alles zur Qual, was an meine ausgereizten Nerven rührte: das leise Lispeln der Lippen, das Klirren der Bestecke, das Rasseln der Teller, jede einzelne Geste, jeder Atem, jeder Blick. Alles zuckte in mich hinein und tat mir weh. Ich mußte mich bemeistern, um nicht etwas Sinnloses zu tun, denn ich fühlte es an meinem Pulse: alle meine Sinne hatten Fieber. Jeden einzelnen dieser Menschenmußte ich ansehen, und gegen jeden fühlte ich Haß, als ich sie so friedlich dasitzen sah, gefräßig und gemächlich, indessen ich glühte. Irgendein Neid überkam mich, daß sie so satt und sicher in sich ruhten, anteillos an der Qual einer Welt, fühllos für die stille Raserei, die in der Brust der verdurstenden Erde sich regte. Alle griff ich an mit dem Blick, ob nicht einer wäre, der sie mitfühlte, aber alle schienen stumpf und unbesorgt. Nur Ruhende und Atmende, Gemächliche waren hier, Wache, Fühllose, Gesunde, und ich der einzige Kranke, der Einzige im Fieber der Welt. Der Kellner brachte mir das Essen. Ich versuchte einen Bissen, vermochte aber nicht, ihn hinabzuwürgen. Alles widerstrebte mir, was Berührung war. Zu voll war ich von der Schwüle, dem Dunst, dem Brodem der leidenden, kranken, zerquälten Natur.
    Neben mir rückte ein Sessel. Ich fuhr auf. Jeder Laut streifte jetzt an mich wie heißes Eisen. Ich sah hin. Fremde Menschen saßen dort, neue Nachbarn, die ich noch nicht kannte. Ein älterer Herr und seine Frau, bürgerliche ruhige Leute mit runden gelassenen Augen und kauenden Wangen. Aber ihnen gegenüber, halb mit dem Rücken zu mir, ein junges Mädchen, ihre Tochter offenbar. Nur den Nacken sah ich, weiß und schmal und darüber wie einen Stahlhelm schwarz und fast blau das volle Haar. Sie saß reglos da, und an ihrer Starre erkannte

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