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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Ich gehe jetzt da rechts hinüber und Sie vielleicht dort auf die andere Seite. Gute Nacht.«
    Sie schwiegen wieder einen Augenblick. Dann sagte der eine »Gute Nacht«, dann der andere, zuletzt die Hure, die ganz im Dunkel geblieben. Ganz warm klang es, ganz herzlich wie ein wirklicher Wunsch. An ihren Stimmen fühlte ich, sie hatten mich irgendwo tief im Dunkel ihres Wesens lieb, sie würden diese sonderbare Sekunde nie vergessen. Im Zuchthaus oder im Spital würde sie ihnen vielleicht wieder einmal einfallen: etwas von mir lebte fort in ihnen, ich hatte ihnen etwas gegeben. Und dieses Gebens Lust erfüllte mich wie noch nie ein Gefühl.
    Ich ging allein durch die Nacht dem Ausgang des Praters zu. Alles Gepreßte war von mir gefallen, ich fühlte, wie ich ausströmte in nie gekannter Fülle, ich,der Verschollene, in die ganze unendliche Welt hinein. Alles empfand ich, als lebte es nur für mich allein und mich wieder mit allem strömend verbunden. Schwarz umstanden mich die Bäume, sie rauschten mir zu, und ich liebte sie. Sterne glänzten von oben nieder, und ich atmete ihren weißen Gruß. Stimmen kamen singend von irgendwoher, und mir war, sie sangen für mich. Alles gehörte mir mit einem Male, seit ich die Rinde um meine Brust zerstoßen, und Freude des Hingebens, des Verschwendens schwellte mich allem zu. O wie leicht ist es, fühlte ich, Freude zu machen und selbst froh zu werden aus der Freude: man braucht sich nur aufzutun, und schon fließt von Mensch zu Menschen der lebendige Strom, stürzt vom Hohen zum Niedern, schäumt von der Tiefe wieder ins Unendliche empor.
    Am Ausgang des Praters neben einem Wagenstandplatz sah ich eine Hökerin, müde, gebückt über ihren kleinen Kram. Bäckereien hatte sie, überschimmelt von Staub, und ein paar Früchte, seit Morgen saß sie wohl so da, gebückt über die paar Heller, und die Müdigkeit knickte sie ein. Warum sollst du dich nicht auch freuen, dachte ich, wenn ich mich freue? Ich nahm ein kleines Stück Zuckerbrot und legte ihr einen Schein hin. Sie wollte eilfertig wechseln, aber schon ging ich weiter und sah nur, wie sie erschrak vor Glück, wie die zerknitterte Gestalt sich plötzlich straffte und nur der im Staunen erstarrte Mund mir tausend Wünsche nachsprudelte. Das Brot zwischen den Fingern trat ich zu dem Pferde, das müde an der Deichsel hing, aber nun wandte es sich her und schnaubte mir freundlich zu. Auch in seinem dumpfen Blick warDank, daß ich seine rosa Nüster streichelte und ihm das Brot hinreichte. Und kaum daß ichs getan, begehrte ich nach mehr: noch mehr Freude zu machen, noch mehr zu spüren, wie man mit ein paar Silberstücken, mit ein paar farbigen Zetteln Angst auslöschen, Sorge töten, Heiterkeit aufzünden konnte. Warum waren keine Bettler da? Warum keine Kinder, die von den Ballons haben wollten, die dort ein mürrischer, weißhaariger Hinkfuß in dicken Bündeln an vielen Fäden nach Hause stelzte, enttäuscht über das schlechte Geschäft des langen heißen Tages. Ich ging auf ihn zu. »Geben Sie mir die Ballons.« »Zehn Heller das Stück«, sagte er mißtrauisch, denn was wollte dieser elegante Müßiggänger jetzt mitternachts mit den farbigen Ballons? »Geben Sie mir alle«, sagte ich und gab ihm einen Zehnkronenschein. Er torkelte auf, sah mich wie geblendet an, dann gab er mir zitternd die Schnur, die das ganze Bündel hielt. Straff fühlte ich es an dem Finger ziehn: sie wollten weg, wollten frei sein, wollten hinauf in den Himmel hinein. So geht, fliegt, wohin ihr begehrt, seid frei! Ich ließ die Schnüre los, und wie viele bunte Monde stiegen sie plötzlich auf. Von allen Seiten liefen die Leute her und lachten, aus dem Dunkel kamen die Verliebten, die Kutscher knallten mit den Peitschen und zeigten sich gegenseitig rufend mit den Fingern, wie jetzt die freien Kugeln über die Bäume hin zu den Häusern und Dächern trieben. Alles sah sich fröhlich an und hatte seinen Spaß mit meiner seligen Torheit.
    Warum hatte ich das nie und nie gewußt, wie leicht es ist und wie gut, Freude zu geben! Mit einem Malebrannten die Banknoten wieder in der Brieftasche, sie zuckten mir in den Fingern so wie vordem die Schnüre der Ballons: auch sie wollten wegfliegen von mir ins Unbekannte hinein. Und ich nahm sie, die gestohlenen des Lajos und die eigenen – denn nichts empfand ich mehr davon als Unterschied oder Schuld – zwischen die Finger, bereit, sie jedem hinzustreuen, der eine wollte. Ich ging hinüber zu einem

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