Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
Arbeit, obgleich ihre schmalen Hände aussahen, als wären sie bisher nur mit den edlen Materialien des Lebens in Berührung gekommen. Hinter ihrem Alabasterteint und den aristokratischen Gesichtszügen schlummerte ein reger, wissbegieriger und kluger Verstand. Sie handhabte das rasante Tempo der visuellen Nachrichten mit großem Erfolg, während sie sich nach außen hin kühl, zurückhaltend und scheinbar unberührbar gab. Die letzten fünf Jahre hatte Liv hart daran gearbeitet, sich davon zu überzeugen, dass dieses Bild der Wirklichkeit entsprach.
Mit achtundzwanzig beschloss sie, dass sie in ihrem Privatleben sämtliche Höhen und Tiefen ausgelebt hatte und sich fortan ausschließlich auf die berufliche Achterbahnfahrt konzentrieren wollte. Den Freunden, die sie in den vergangenen anderthalb Jahren in D.C. gewonnen hatte, gestattete sie nur ganz oberflächliche Einblicke in ihre Vergangenheit. Ihr Privatleben hielt sie sorgsam unter Verschluss.
»So viel von Olivia Carmichael«, sprach sie in die Kamera.
»Und Brian Jones. Bleiben Sie dran, es folgen die ›CNN World News‹.«
Die Kennmelodie setzte ein; kurz darauf erlosch das rote Signallicht an Kamera drei. Liv klemmte ihr Mikrofon ab und verließ ihren Platz hinter dem halbrunden Schreibtisch, der ihrem Nachrichtenteam vorbehalten war.
»Gute Show«, bemerkte der Mann hinter Kamera eins, als sie an ihm vorbeischlenderte. Über ihr erloschen die gleißenden Scheinwerfer. Liv sah ihn an und lächelte. Dieses bestimmte
Lächeln, das sie nur benutzte, wenn sie es auch wirklich meinte, verwandelte ihre kühle, unnahbare Schönheit.
»Danke, Ed. Was macht Ihre Tochter?«
»Steckt mitten im Examensstress.« Er zuckte mit den Achseln und nahm die Kopfhörer ab. »Hat im Augenblick wenig Zeit für mich.«
»Sie werden stolz auf sie sein, wenn sie ihr Lehrerinnendiplom in der Tasche hat.«
»Ja, bestimmt. Ach – Liv.« Sie drehte sich noch einmal um und hob fragend eine Braue. »Sie hat mich gebeten, Sie zu fragen …«, er zögerte und machte ein verlegenes Gesicht.
»Was denn?«
»Wo Sie sich die Haare machen lassen«, platzte er heraus, schüttelte den Kopf und beschäftigte sich angelegentlich mit seiner Kamera. »Frauen.«
Liv lachte und tätschelte ihm freundlich den Arm. »Bei Armond’s, Wisconsin Street. Sie soll sagen, dass Sie auf meine Empfehlung kommt.«
Damit verließ sie das Studio, ging eiligen Schritts die Treppe hinauf und durch den langen, gewundenen Flur, der zur Nachrichtenzentrale führte. Dort herrschte die übliche turbulente Betriebsamkeit, die den Wechsel von der Tag- und Nachtschicht begleitete.
Reporter hockten auf den Kanten der Schreibtische und tranken Kaffee, andere hämmerten eilig die letzten Berichte für die Elf-Uhr-Nachrichten in ihre Laptops. Über ihnen schwebte eine Wolke aus Zigarettenqualm, Schweiß und abgestandenem Kaffee. Die eine Längsseite des Raumes war einer Monitorwand vorbehalten, dessen zahlreiche Bildschirme die Geschehnisse, aber nicht den Ton der einzelnen Sender der Metropole wiedergaben. Über einen der Monitore flimmerte soeben das Intro für ›CNN World News‹. Liv bahnte sich ihren Weg durch das Chaos und strebte zielstrebig auf das rundum verglaste Büro des News-Directors zu.
»Carl?« Sie steckte den Kopf in die Tür. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
Carl Pearson lümmelte hinter seinem Schreibtisch und starrte mit gefalteten Händen auf einen Fernsehbildschirm.
Die Brille, die er tragen sollte, lag unter einem Stapel Papieren, oben auf einem Aktenberg balancierte ein Plastikbecher mit kaltem Kaffee, die Zigarette, die zwischen seinen Fingern klemmte, war bis zum Filter heruntergebrannt. Er grunzte irgendetwas vor sich hin. Liv trat ein, wissend, dass dieses Grunzen als Zustimmung zu deuten war.
»Gute Show, heute Abend.« Sein Blick haftete konzentriert auf dem kleinen Bildschirm.
Liv setzte sich und wartete auf den nächsten Werbeblock. Sie hörte die forsche, prägnante Stimme von Harris McDowell, dem New Yorker Nachrichtensprecher für ›CNN World News‹, der gerade am Set nebenan die Nachrichten verlas. Es war sinnlos, mit Carl zu sprechen, wenn die großen Tiere auf Sendung waren. Und Harris McDowell war ein solches.
Sie wusste, dass Carl und Harris gemeinsam als Reporter bei einem Sender in Kansas City, Missouri, angefangen hatten. Doch es war Harris gewesen, den man beauftragt hatte, über den Präsidentenbesuch 1963 in Dallas zu berichten. Die Ermordung des Präsidenten
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