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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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haben. Sie haben das Haus also betreten. Was geschah dann?«
    »…«
    »Frau Lenz … Frau Lenz? Möchten Sie ein Glas Wasser?«
    »Hmm.«
    »Könnten Sie Frau Lenz ein Glas Wasser … ja, wunderbar. Vielen Dank.«
    »Ich … es …«
    »Trinken Sie einen Schluck, Frau Lenz, und dann fahren Sie bitte fort. Geht es wieder?«
    »Ja – ja, es geht schon.«
    »Gut.«
    »Ich habe das Haus betreten, das Licht eingeschaltet.«
    »Ja.«
    »Es war sehr ruhig, ich erinnere mich, das ist mir gleich aufgefallen. Aber ich habe mir nichts dabei gedacht, es war ja fast Mitternacht.«
    »Ja.«
    »Ich wollte direkt ins Bett. Also bin ich die Treppe nach oben gegangen.«
    »Ja.«
    »…«
    »Frau Lenz, wir haben ja Verständnis dafür –«
    »Oben auf der Treppe, also nicht auf der Treppe selbst, aber auf der Galerie, in die die Treppe mündet – von der die Schlafzimmer abgehen, wissen Sie – dort … der Teppichboden ist dort hellgrau. Es war ein Fleck, er ist mir sofort aufgefallen – nicht nur einer, ein paar Zentimeter weiter der nächste. Es war wie ein Rausch, wie ein Wirbel, ich habe mich hingekniet, den Fleck berührt, er war noch nass, meine Finger haben sofort geklebt. Ich hatte ja oben noch kein Licht gemacht, deshalb konnte ich nicht sehen, welche Farbe der Fleck hatte, aber er war feucht, ich streifte die Hand unwillkürlich an meiner Hose ab, es war … als hätte ich in Unrat gefasst, ich dachte … verstehen Sie, ich dachte: Wer hat denn hier auf den Boden ge…, also sein Geschäft auf den Boden gemacht. Ich dachte, dass vielleicht ein Tier ins Haus gekommen wäre. Aber vor allem wollte ich meine Hand abwaschen, also habe ich mich wieder aufgerichtet und bin zum Bad, also zu dem Bad, das gleich bei meinem Au-pair-Mädchen-Zimmer lag. Aber als ich zum Bad gegangen bin, habe ich gesehen, dass die Spur weiterführte, dass etwas über den Boden getropft sein musste. Und bevor ich ins Bad konnte – es war, als würde es ganz von alleine geschehen –, bevor ich ins Bad kam, drehte sich mein Kopf nach rechts, wo die Spur noch breiter, noch schmutziger zu sein schien – und … Ich will es Ihnen ja der Reihe nach und klar berichten – aber es war, als würden sich meine Sinne plötzlich verwirren. Als würde plötzlich mein Kopf … sozusagen erhitzt werden, wenn Sie verstehen, was ich meine, denn als ich die Tür zum Schlafzimmer der Eltern sah, fiel mir auf, dass sie offen stand, dass die gleichen Flecken, die ich auf dem Boden gesehen hatte, daran klebten, dass die Spur aus dem Zimmer herausführte. Ich … ich weiß, ich hätte sie gleich rufen sollen, also die Polizei, aber … ich habe es ja eben schon gesagt, es war, als hätte ich nur noch ein Brausen im Kopf, als würden meine Beine von selbst laufen …«
    »Frau Lenz?«
    »Hmmm.«
    »Können wir ein Taschentuch für Frau Lenz bekommen … danke.«
    »Ich hätte nicht in das Schlafzimmer gehen sollen.«
    »Was haben Sie dort gesehen?«
    »Sie lag auf dem Boden. Sie hatte ihr Nachthemd an. Ich sah zuerst ihre Füße, die neben dem Bett lagen. Das Bett wirkte im Dunkeln zum Teil schwarz, es sah so aus, als ob … ich weiß es nicht, aber ich musste denken, als ob sich ein Walfisch darauf entleert hätte, schwarze, feuchte Schlieren. Ich sah ihre Füße und trat an sie heran. Ihr Gesicht war abgewendet, aber es hatte sich irgendwie verformt. Meine Gedanken marschierten da schon wie von selbst. Ich sah, dass sie erschlagen worden war, ich sah ihre Hände auf dem Teppich, ich musste an die Krallen eines toten Huhns denken. Ihre Beine waren weiß wie Stein – aber ihr Kopf war verformt. Frau Götz war immer eine schöne Frau gewesen, und sie war es auch jetzt noch. Sie sah nur aus wie eine Puppe, die ein Kind an den Beinen gepackt und auf den Boden geschlagen hatte. Die Haare lagen zum Teil auf ihrem Gesicht, sie wirkten wie aus Nylon, nur dort, wo das Blut wie eine schwarze Paste hingeflossen war, waren sie schmutzig und stumpf. Doch da habe ich schon nicht mehr klar denken können. Es kam mir so vor, als würde ein sägender Pfeifton in mir surren, als würde ich fast außerhalb von mir stehen. Der Rest ging dann wie automatisch. Ich bin raus aus dem Schlafzimmer und wollte nach unten, ich glaube, zum Telefon. Auf der Galerie sah ich wieder die Spur, erst da fiel mir ein, dass sie ja aus dem Zimmer herausgeführt hatte. Dass sie an der Treppe vorbeigeführt hatte. Und als ich das sah, stach es sozusagen durch mich hindurch. Ich weiß

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