Der Atem der Apokalypse (German Edition)
und der Lauf einer Pistole. Er spürte heute noch, wie sehr seine Hände schwitzten. Die Zeit legte sich in Falten und er war wieder dort, wo er angefangen hatte. Ein Rad im anderen.
»Dein Gesicht sieht dagegen richtig scheiße aus.« Die Stimme war immer noch aus grobem Schrot und Korn, aber mittlerweile mit einem Hauch von Respekt, der früher nicht dagewesen war. Cass war nicht der Einzige, der sich in den letzten zehn Jahren verändert hatte. »Die Jungs haben dich ganz schön rangenommen.« Der alte Mann rührte sich nicht, doch er nickte den zwei Schlägern zu, die rechts und links neben Cass standen. Sie lösten seine Fesseln.
»Aber du hast es nicht anders verdient. Du hast mich belogen. Du hast mich betrogen. Die Rechnung musste ich noch begleichen. Alles in allem bist du damit gut weggekommen. Die Jungs bringen dich jetzt zur Dusche.« Er machte eine Pause und starrte Cass an, der begriff, dass er nicht als Einziger unter den Erinnerungen litt.
»Und dann Charlie«, sagte Brian Freeman, »werden wir uns unterhalten, du und ich.«
Cass konnte zwar nicht viel sehen, aber es reichte, um festzustellen, dass er sich in einem großen Haus befand, in einem sehr großen sogar. Brian Freeman, der frühere Bandenboss aus Birmingham, lebte jetzt in einer dieser Villen, wie sie von TV -Stars in ihren endlosen Realityshows vorgeführt wurden. Das Badezimmer, in das Cass geführt wurde, war größer als das geräumige Schlafzimmer in seiner Wohnung. Freeman war gut im Geschäft gewesen, als Cass – oder damals Charlie – ihn gekannt hatte, aber früher hatte er nicht annähernd so nobel gewohnt.
Die Dusche war stark und die Hitze ein Geschenk Gottes für seinen frierenden, schmerzenden Körper. Er hätte den ganzen Tag darunter stehen bleiben können, doch er riss sich zusammen. Cass hatte zu viele Fragen, auf die er eine Antwort haben wollte, nicht zuletzt die, warum ein Mann, der hinter Gitter gehörte, ganz offen in einer Luxusvilla wohnen konnte. Natürlich nur, falls es wirklich Freemans Haus war. So weit waren sie nicht gefahren, keinesfalls bis Birmingham, und das hieß, dass sie noch im Großraum London sein mussten. Was hatte Brian Freeman hier zu suchen?
Auf dem Bett lagen saubere Anziehsachen, die ganz gut passten. Außerdem hatte ihm jemand ein Glas Wasser und eine Packung Cocodamol gebracht. Cass hätte beinahe gelächelt. Erst schlugen sie ihn zusammen, und dann gaben sie ihm etwas gegen die Schmerzen. Brian Freeman war immer schon anders gewesen. Während er dem schweigenden Schläger wieder nach unten folgte, hatte Cass zu seinem Erstaunen plötzlich Schuldgefühle, und zwar ausnahmsweise nicht nur wegen des armen Jungen, den er erschossen hatte, sondern weil er Brian Freeman vor all den Jahren verraten hatte.
Der junge Mann, der Cass Jones früher einmal gewesen war, hatte Brian Freeman gern gehabt, obwohl es nur ein Job war. Er war eine Vaterfigur für ihn gewesen, ein harter Kerl, zu dem Cass sich hingezogen fühlte, und der ganz anders war als sein eigener wiedergeborener Vater, der immer auf Vergebung aus gewesen war. Doch trotz seiner Sanftmut hatte Cass’ eigener Vater sie alle verraten, indem er Luke weggegeben hatte. Wenn es nach Cass ging, hatte Brian Freeman eine wesentlich reinere Seele als Alan Jones sie jemals gehabt hatte. Er war der Meinung, dass Gut und Böse in Wirklichkeit grau waren. Nur die Polizeichefs, die heiliger taten als der Papst, sahen das nicht ein oder wollten es einfach nicht wahrhaben.
In der Lounge hatte Brian Freeman ihnen bereits Brandy eingeschenkt. Sie setzten sich auf Ledersofas einander gegenüber und musterten sich schweigend. Cass fand, dass Brian Freeman mit siebzig besser aussah als mit sechzig. Er hatte abgenommen und sein Gesicht war immer noch ein zerfurchtes Durcheinander gebrochener Knochen, doch er war braun gebrannt und sah gesund aus. Sein Blick war so hart wie eh und je. Insofern hatte sich nicht viel geändert.
»Du bist auch kein Junge mehr, was, Charlie?« Freeman trank einen Schluck. »Oder soll ich Cass zu dir sagen?«
»So heiße ich.«
»Na dann Cass. Wie alt bist du jetzt? An die vierzig? Man sieht’s. Deine Falten sehen nicht sonderlich frisch aus.«
»Wenn du irgendwas über mein Leben weißt, dann weißt du auch, dass ich sie mir hart erarbeitet habe.« Als Cass trank, brannte der Brandy an seinen aufgeplatzten Lippen. »Wie hast du mich gefunden?«
»Kinderspiel. Du warst nicht tot, das war klar, also musstest du irgendwo
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