Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Männer zurückkamen. Der erste Schlag kam aus dem Nichts. Er war so überrascht, dass er es gar nicht richtig spürte, als sein Kopf zur Seite flog. Der zweite Faustschlag ging direkt in den Magen – das spürte er nur zu gut. Als er verzweifelt versuchte, durch die Nase Luft zu holen, fürchtete er, schon wieder ohnmächtig zu werden. Beim sechsten oder siebten Schlag sehnte er sich danach umzukippen. Da er nichts sehen konnte, musste er gar nicht erst versuchen, sich zu verteidigen. Er konnte nicht einmal den Kopf locker mitschwingen lassen, wenn er nicht wusste, wann die Schläge kamen. Es war eine dunkle Welt voller Schmerzen, in der er verloren war.
Seit sie ihn an den Stuhl gebunden hatten, war ihm klar gewesen, dass sie ihn zusammenschlagen wollten – das war also keine Überraschung. Doch er hatte erwartet, dass es ein Mittel zum Zweck war, dass sie Antworten auf bestimmte Fragen oder gewisse Informationen haben wollten. Das Mindeste wäre, dass jemand ihn schreien hören wollte. Doch bisher war nicht zu erkennen, wozu das Ganze gut sein sollte, und wenn es nicht um Informationen ging, steckte er total in der Scheiße. Waren es vielleicht Bowmans Kontaktmänner? Wollten sie ihn einfach nur verprügeln, bis er tot umfiel?
Schließlich hörten die Schläge auf. Cass’ Kopf fiel nach vorn, doch er zuckte gleich wieder zurück, als einer dieser Bastarde einen weiteren Eimer mit kaltem Wasser über ihm ausgoss. Er schrie hinter dem Klebeband noch lange, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen und ihn allein gelassen hatten. Diesmal trieb er in eine gnädige Bewusstlosigkeit … doch als er gerade darin versinken wollte, kam ihm ein Gedanke: Sie hatten seine Schulter verschont. Warum hätten sie das tun sollen? Wenn sie ihm richtig wehtun wollten, wäre das doch naheliegend gewesen. Sie hätten ihn trotzdem noch so lange am Leben halten können, wie sie wollten, doch das hätte ihm Höllenqualen beschert … Immer diese Fragen, sinnierte er, als die Dunkelheit ihn verschluckte. Warum zum Teufel gab es in seinem Leben so viele Fragen?
Er war anscheinend noch ohnmächtig gewesen, als sie zurückkamen, und alles lief so schnell ab, dass er nicht wusste,
wer
geschweige denn
wo
er war, als das Licht anging und jemand ihm den Sack abnahm und das Klebeband abriss. Sein Gesicht brannte. Er atmete die kalte Luft tief ein, während sein Herz so schnell schlug, dass seine Augenwinkel brannten. In der kurzen Zeit, da die goldene Wärme aus seinen Augen nach innen floss, hatte er am ganzen Körper keine Schmerzen mehr, als wäre er geheilt oder irgendwie größer und besser geworden als zuvor. Mit frischem Elan riss er an dem Seil, mit dem er an Händen und Füßen gefesselt war, bis der Stuhl gefährlich kippelte.
»Du warst immer schon ein wilder Bastard. Beruhige dich gefälligst, du gehst nirgendwohin.«
Schon beim ersten Wort erstarrte Cass und sofort verfloss jegliches Leuchten, das er hervorgebracht hatte, sodass alle Schmerzen und Qualen erneut seinen verletzten zerschlagenen Körper überfluteten. Das konnte nicht sein – unmöglich, dass er es war. Cass zwang sich, trotz seines geschwollenen Gesichts, die Augen zu öffnen und blinzelte in das Licht. Er musste ihn
sehen
…
Ein alter Mann stand auf der Schwelle zwischen der großen gefliesten Garage und dem angegliederten Haus. Er trug einen Kaschmirpullover, eine Freizeithose und eine teure Uhr. Doch das war nur Dekoration. Weder Geld noch Lebensumstände konnten verhindern, dass Cass auch die geschundene Nase des Mannes sah, die ihm mit siebzehn Jahren vierfach gebrochen worden war. Er erinnerte sich, wie der Mann gelacht hatte, als er ihm die Geschichte erzählt hatte. Er starrte ihn an und merkte, dass ein Spuckefaden aus dem Mundwinkel über sein Kinn herabhing, während er keuchend nach Luft rang. Er konnte seine Gefühle nicht mehr einordnen. Wahrscheinlich hatte er Angst. Auf jeden Fall stand er unter Schock.
»Deine Schulter heilt schnell. Da hast du Glück. Bei mir hat es fast ein Jahr gedauert. Aber ich war auch viel älter als du. Trotzdem. Du hast gutes Heilfleisch.«
Cass saß und starrte ihn weiter wie ein Schwachkopf an, während ihn Erinnerungen wie Dampfwalzen überrollten, die er ein Jahrzehnt lang bekämpft hatte. Sie trafen ihn schlimmer als die Schläge von eben.
Du musst hochgucken, Charlie.
Na, worauf wartest du, Charlie?
Lauf, Charlie! Lauf, Charlie!
Und immer, immer wieder die dunklen angstvoll aufgerissenen Augen
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