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Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Titel: Der Atem der Apokalypse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Pinborough
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»Damals hörte sich das gut an. Mir war kalt, ich war schlecht drauf.«
    »Und was hat er dann gesagt, das so ungewöhnlich war?«
    »Das war, nachdem ich mir das Zeug gespritzt hatte; mir war schon wärmer. Kam echt gut.« Er sah Hask an, der begriff, dass er die Ironie bemerkt hatte. »Er stand auf und beobachtete mich kurz, zog seine Handschuhe an – ich weiß noch, dass ich die auch noch gern gehabt hätte – und sagte: ›Das ist das Wort eures Gottes. Ihr sollt es verbreiten.‹»
    »Das war die genaue Wortwahl?«
    »Ja. Das hat er gesagt und dann ist er gegangen. Ich hatte gehört, dass so ein Jesusfreak Stoff verschenkt, aber ich habe es für ein Gerücht gehalten.« Er lächelte traurig. »Aber er hat nicht nur Stoff verschenkt, nicht wahr?«
    Hask kümmerte sich nicht um die Regeln und drückte dem Jungen die Hand. Sie war kalt, als würde sich sein Körper bereits auf den Tod vorbereiten, der kurz bevorstand.
    »Es war nicht Ihre Schuld, mein Junge.«
    Graham Calf antwortete nicht und schloss still die Augen. Nach einer Minute atmete er langsamer und schlief ein. Hask ließ ihn in Ruhe. Seine Geschichte und seine Beschreibung entsprachen denen der anderen, und Hask hatte genug für eine erste Einschätzung. Er ging zum Schwesternzimmer und warf noch einen Blick zurück auf die Patienten. Auf dieser Station gab es keine Hoffnung. Er war sich der Macht des Gesunden unter so vielen Kranken bewusst. Ging es
ihm
auch so, trieb das Machtgefühl den Mörder an? Hask verwarf die Idee gleich wieder. Es war komplizierter oder auch einfacher, je nach Blickwinkel.
    »Wie schaffen Sie es, unter diesen Bedingungen zu arbeiten?«, fragte er die Stationsschwester, die von ihren Papieren aufsah und ihn anlächelte. Er konnte sich gut vorstellen, dass viele Schwestern Antidepressiva nahmen. Hask hatte nur eine Stunde auf der Station verbracht und merkte bereits, wie sehr ihn das runterzog. »Und wie kommen
sie
damit klar?«
    »Komischerweise sind die meisten nicht verbittert – die Junkies und die Obdachlosen«, antwortete sie. »Das hilft uns, weil sie uns nicht angreifen oder beschimpfen. Sie wissen, dass wir versuchen, ihr Leid zu lindern. Aber es ist schrecklich traurig für sie. Ich glaube, sie halten es für ihr Schicksal und haben schon ihren Frieden damit gemacht, ehe es so weit war. Ich fürchte, es gibt Menschen ganz ohne Selbstwertgefühl.« Ihr Blick schweifte ans hintere Ende der Station, wo einige neuere Fälle durch einen Vorhang von den anderen getrennt waren. »Für die ist es schlimmer. Der Virus ist etwas, das in ihrer Welt normalerweise nur die anderen erwischt.«
    »Das war einmal«, sagte Hask. »Ich fürchte, Sie haben bald noch mehr Patienten wie Mrs Wheeler.«
    »Wer tut so etwas, wer infiziert absichtlich andere Menschen? Wie kann man so abgebrüht sein?«
    Es berührte ihn sonderbar, dass sie dasselbe Wort benutzte, das er eben gedanklich im Zusammenhang mit Cass Jones gewählt hatte. Nun, der ehemalige DI war ein Mörder, das war erwiesen, doch so wie der hier war er nicht. Sie waren meilenweit voneinander entfernt.
    »Ich bin immer wieder überrascht, was Männer sich einfallen lassen«, sagte er, »oder auch Frauen.« Er lächelte. »Manchmal sind es aber auch angenehme Überraschungen, vergessen Sie das nicht.«
    Nachdem er sich verabschiedet hatte, warf er Handschuhe und Mundschutz in die Abfalleimer am Ausgang. Hask verließ das Krankenhaus und saugte draußen tief die kalte Londoner Luft ein. Es tat gut, die stille, beengte Station hinter sich zu lassen, wo der Tod praktisch in der Luft lag. Die Straße war voller Leben, es knisterte vor Energie.
    Hask beobachtete die Passanten. Es gab einfach zu viele elegante Männer mit kurzem braunem Haar. Einer von ihnen konnte der unsichtbare Verbrecher sein. Der Profiler spürte einen eisigen Hauch, der nichts mit dem kalten Dezembermorgen zu tun hatte. Die Vorstellung von diesem Mann, der auf der Straße lauerte und fremde Menschen infizierte, war verstörend. Wenn das herauskam, würden die Medien die Bevölkerung zu einer landesweiten Hysterie aufpeitschen.
    Er seufzte. Sein dampfender Atem versicherte ihm, dass er noch lebte, und er versuchte unterwegs Abstand zu den anderen Londonern zu wahren. Gott, er wünschte, er wäre wieder in Schweden! Obwohl er in London sehr viel Geld verdiente, war es ihm hier zu aufregend.

5
    In der Mittagszeit schlenderte Cass durch Oxford. Als er Mac mitgeteilt hatte, dass er einen Tag fortbleiben würde,

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