Der Atem des Jägers
Hand zart auf der Fülle ihrer Brust. Sein Gesicht an ihrem; feines Haar an seinen Stoppeln.
Er erzählte ihr, wie er gewesen war, damals vor dem Saufen. Er war Optimist gewesen, extrovertiert. Ein Witzbold. Er hatte
alle zum Lachen bringen können, in den eigenartigsten Momenten. Bei der Morgenkonferenz, wenn die Anspannung groß war und
die Nerven strapaziert wurden, konnte er den Witz an der Sache sehen und mit einem Satz zur Sache kommen und alle in Gelächter
ausbrechen lassen. Er war derjenige, den alle zuerst anriefen, wenn es ein
Braii
gab. Zwei oder drei Mal im Monat traf sich die Mordkommission zu einem spontanen
Braai
. Drei Uhr nachmittags am Freitag, nur um den nie enden wollenden Druck zu mindern, in Blouberg oder Silvermine oder sogar
im Büro in Bellville South. Bier, Fleisch und Brot, Gelächter, quatschen und trinken, er war der erste auf der Liste, denn
er war Sergeant Benny Griessel, instinktsicherer Ermittler und inoffizieller zynischer Chefclown, der sich über den Job, die
Bürokratie und die Minderheitenförderung trotz allem mit Gefühl lustig machen konnte. Danach konnte man all das wieder besser
ertragen.
Sie veranstalteten immer noch ihre
Braais
, doch keiner lud ihn mehr ein. Keiner wollte ihn dort, diesen taumelnden Deppen, der keine zwei Worte aneinanderreihen konnte.
Diesen Pausenclown, der andere umstieß, der fluchte und sich stritt und den man schließlich zu einer Frau nach Hause schaffen
mußte, die nur zögerlich die Tür öffnete. Denn sie wollte weder den Trunkenbold noch die Demütigung.
Er erzählte Christine, daß er jetzt seit elf Tagen nüchtern war, und er kannte den Mann, der er jetzt war, gar nicht.
Alles hatte sich um ihn herum verändert. Seine Kinder, seine Frau, seine Kollegen. Herrgott, er war ein alter Mann inmitten
der ganzen Sturm-und-Drang-Jungspunde bei der Polizei.
Vor allem aber glaubte er,
er
hätte sich verändert. Er wußte nur nicht, wie. Oder wie sehr. Ein eigenartiger Mann, Mitte Vierzig mit einem Riesenloch im
Leben.
|332| Er erzählte ihr all das, und irgendwann zwischendurch fragte sie: »Warum wollen Sie Ihre Frau zurück?« Er dachte darüber nach,
bevor er antwortete. Er sagte, er wäre damals glücklich gewesen. Sie wären glücklich gewesen. Sie war die Frau, mit der er
dieses Leben angefangen hatte. Sie hatten nichts, nur einander. Sie gründeten zusammen einen Haushalt, litten zusammen, lachten
zusammen. Teilten das Wunder der Geburt von Carla und Fritz. Feierten zusammen, wenn er befördert wurde. Sie hatten Geschichte,
eine Geschichte, die etwas wert war. Sie waren Freunde gewesen und ein Liebespaar, und das wollte er zurück. Er wollte die
Bindung, die Kameradschaft und das Vertrauen. Denn das war ein großer Teil dessen, was er gewesen war, was ihn zu dem machte,
was er gewesen war.
All das wollte er zurück.
Wenn er Anna nicht zurückbekam, blieb ihm gar nichts. So war das.
Sie sagte: »Man kann nie wieder sein wie früher«, und bevor er etwas entgegnen konnte, fragte sie: »Lieben Sie Ihre Frau noch?«
Egal, wie lange er darüber nachdachte, er hatte keine Antwort darauf. Er wollte irgendwas reden von »was ist schon Liebe«,
aber er hielt den Mund und hatte sich plötzlich gründlich satt. Also fragte er: »Was ist mit Ihnen?«
»Was ist mit mir?«
»Warum war es für Sie notwendig … eine Prostituierte zu werden?«
»Erotik-Dienstleisterin«, sagte sie selbstironisch.
Sie bewegte sich langsam, und er glitt aus ihr heraus. Ein kleiner Moment des Verlustes. Sie wandte sich um, so daß sie ihn
anschauen konnte, und seine Hand glitt von ihrer Brust.
»Hätten Sie mich das auch gefragt, wenn ich Blumen verkaufen würde?« In ihrer Stimme lag kein Widerstand. Ihre Worte waren
glatt und emotionslos. Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Es ist bloß ein Job.«
Er holte Atem, um zu antworten, aber sie fuhr fort: »Die Leute glauben, es wäre so furchtbar. Schlimm. Schädlich. Aber |333| Ihre Arbeit schadet Ihnen auch. Das haben Sie mir gerade erzählt. Und trotzdem ist es okay, Polizist zu sein. Bloß nicht Hure.«
Er dachte, wenn sie keine Prostituierte gewesen wäre, wäre Sonia jetzt sicher daheim, aber er wußte, das könnte er niemals
sagen.
»Als ich anfing, habe ich mich auch gefragt, was so anders an mir ist. Alle meine Klienten fragen dasselbe: ›Warum sind Sie
Eskort-Girl geworden?‹ Man bekommt das Gefühl, daß etwas mit einem nicht stimmt. Aber dann denkt man,
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